Ritter der Kokosnuss
von Heike
"Das ist aber
eine Überraschung", rief Ben Cartwright erfreut, als er nach dem
Abendessen endlich dazu kam, in Ruhe den Brief zu lesen, den Hoss nachmittags vom
Postbüro aus Virginia City mitgebracht hatte. Den Tag über hatte er so viel zu
tun gehabt, dass der Umschlag unbeachtet auf dem Schreibtisch liegengeblieben
war. Joe und Hoss, die gerade ein Partie Dame spielten, blickten überrascht auf
und auch Adam, der am Kamin saß, unterbrach sein Lesen und fragte interessiert:
"Wichtige
Neuigkeiten, Pa?"
"Arthur King
und seine Tochter kommen für ein paar Tage nach Virginia City. Er hat
geschäftlich in der Gegend zu tun. Er möchte wissen, ob sie auf der Ponderosa
willkommen sind und bei uns wohnen können. Natürlich können sie, was für eine
Frage. Er ist schließlich einer meiner ältesten Freunde."
Adam lächelte
amüsiert: "Jedes Mal, wenn ich den Namen höre, bin ich fassungslos. Ich
kann einfach nicht begreifen, dass seine Eltern ihn Arthur genannt haben.
Arthur King - das ist wirklich unglaublich."
Hoss interessierte
die Artus-Sage weniger als die Erinnerung an den letzten Besuch der Kings auf
der Ponderosa: "Kein Wunder, dass er vorsichtshalber fragt, wenn ich an
seinen letzten Aufenthalt hier denke."
Auch Adam
schmunzelte, als er sich an das Chaos dachte, dass Arthur Kings Tochter in der
Zeit ihres Besuchs angerichtet hatte. "Die süße Amanda war auf jeden Fall
das schwierigstes Mädchen, das ich je erlebt habe. Kaum zu glauben, dass eine
so kleine Göre so launisch und mürrisch sein kann. Und einige recht
ungewöhnliche Ideen hatte sie ja außerdem."
Joe konnte überhaupt
nicht lachen, als er sich an die kleine, moppelige Nervensäge mit den dicken,
abstehenden Zöpfen dachte. "Der Krönung war ja wohl, als sie Cochise mit
schwarzer Farbe angestrichen hat, weil sie meinte, dass gescheckte Pferde blöd
aussehen" erinnerte er sich empört. Hoss und Adam brachen in Lachen aus,
als sie sich an den Vorfall erinnerten.
"Nun, Amanda
hat eine schwierige Zeit durchzumachen, als ihre Mutter so plötzlich starb.
Inzwischen ist sie ja ein paar Jahre älter und hoffentlich auch etwas
vernünftiger geworden", brummte Ben begütigend und bemühte sich, ein
Schmunzeln zu unterdrücken, um seinen jüngsten Sohn nicht zu kränken.
"Wie alt ist
das Mädchen jetzt eigentlich?" fragte Adam und gab sich gleich selbst die
Antwort "Sie ist etwas jünger als unser Kleiner, also etwa siebzehn oder
achtzehn, nicht wahr?"
Joe quittierte 'den Kleinen'
mit einem giftigen Blick in Richtung Adam, sagte aber nichts dazu, weil sein
anderer Bruder ihm besänftigend die Hand auf den Arm legte und schnell auf das
eigentliche Thema zurückkam: "Wann bricht denn das Unheil über die
Ponderosa herein?"
Ben hatte inzwischen
den Brief zu Ende gelesen. "Sie werden schon übermorgen mit der
Postkutsche aus San Francisco eintreffen und knapp eine Woche bleiben."
"Das ist aber
jammerschade", bedauerte Hoss augenzwinkernd, denn so ganz ehrlich meinte
er es nicht, "dann werde ich den Spaß leider verpassen. Ich soll ja morgen
wegen der Higgins-Sache nach Placerville."
"Stimmt",
bestätigte Ben, "dann kommen ja nur noch zwei meiner Söhne in Frage, die
sich während ihres Aufenthalts um Amanda kümmern wollen. Nun? Adam, Little Joe,
Freiwillige vor, wenn ich bitten darf."
Joe vergaß
augenblicklich, weiterhin auf Adam böse zu sein. Er warf seinem großen Bruder
einen hilfesuchenden Blick zu. Adam rutschte vor Schreck der Finger aus dem
Buch, den er als Lesezeichen zwischen die Seiten gesteckt hatte.
"Pa, wir haben
auch ohne Babysitter-Job schon genug zu tun", wehrte er ganz entschieden
ab.
Joe begriff sofort,
wie Adam argumentieren wollte. "Genau, wir müssen ja schließlich
zusätzlich noch die Arbeiten von Hoss übernehmen, wenn er in Placerville
ist", ergänzte er. Ben Cartwright zeigte sich unbeeindruckt vom
plötzlichen Arbeitseifer seiner Söhne.
"Keine Sorge
Jungs, derjenige von euch, der sich um die junge Lady kümmert, bekommt keine
anderen Aufgaben. Na, ist das ein Angebot?"
Dennoch, weder Joe
noch Adam konnten sich für den Vorschlag begeistern. Ben wartete auf eine
Reaktion, aber die beiden blickten ihn nur stumm an. Hoss grinste
erwartungsvoll und etwas schadenfroh.
"Nun, dann muss
ich es bestimmen", brummte ihr Vater schließlich, "Joseph, ich
möchte, dass du dich um Amanda kümmerst. Du bist genau im passenden Alter, ihr
werdet euch gut verstehen."
"Ich? Ich bin
doch kein Kindermädchen", protestierte der Auserwählte vehement. Sein
Vater lächelte. Er hatte eine Idee, wie er seinen Jüngsten zur Mitarbeit
'überreden' konnte.
"Little Joe,
ich möchte wirklich, dass Amanda sich bei uns wohlfühlt und ich weiß genau,
dass du für diese Aufgabe der Richtige bist. Ich bin natürlich gern bereit, dir
für deine außerordentlichen Mühen eine kleine Aufwandsentschädigung zu
gewähren."
Natürlich verfehlte
dieses Angebot seine Wirkung nicht. Little Joe brauchte eigentlich immer Geld.
"Aufwandsentschädigung?"
wiederholte er misstrauisch.
"Naja, Spesen, falls
du sie zu irgendwas einladen möchtest. Oder für ein kleines Geschenk. Oder ...
was weiß ich. Was hältst du von fünfzig Dollar?"
"Fünfzig
Dollar?" Little Joe zögerte bei diesem Angebot nicht lange, "okay Pa,
dafür tue ich alles, sogar Kindermädchen spielen."
"Little Joe,
Kindermädchen ist falsch, wahrscheinlich trifft Kavalier es viel besser.
Vergiss nicht, die Kleine ist inzwischen eine junge Frau", versuchte Hoss,
den jüngeren Bruder noch ein wenig zu motivieren.
Adam hatte weniger
Mitleid mit dem jüngsten Mitglied seiner Familie. "Genau. Unser kleiner
Bruder wird ganz ritterlich aufpassen, dass die keusche Königstochter diesmal
keine Pferde anmalt", neckte er mit einem belustigten Grinsen.
Ben hob mahnend die
Augenbraue. "Jungs, ich wäre wirklich sehr froh, wenn wir das Thema Amanda
King jetzt für eine Weile vergessen."
Die drei verstanden
sehr wohl, dass diese schlichte Bitte mehr Befehl als Wunsch war. Adam nahm
sein Buch wieder auf. Hoss und Little Joe widmeten sich wieder dem Damespiel.
Allerdings spielte Joe für den Rest des Abends so unkonzentriert, dass Hoss
gleich dreimal hintereinander gewann, was die Laune seines kleinen Bruders auch
nicht verbesserte.
***
Zwei Tage später
standen Ben und Joe Cartwright am späten Vormittag am Straßenrand vor dem Stage
Line Büro in Virginia City und warteten auf die Ankunft der Postkutsche.
Während Ben sich auf das baldige Zusammentreffen mit seinem Freund freute, trat
Little Joe unglücklich von einem Fuß auf den andern.
Pünktlich um elf Uhr
fuhr der rotbraune Vierspänner vor. Der Kutscher sprang vom Bock, schob die
kleine Fußbank zum Ein- und Aussteigen an ihren Platz und öffnete die Tür. Zwei
ziemlich heruntergekommene Cowboys kletterten heraus, dann Mister Olson von der
Bank und endlich die erwarteten Gäste.
Zunächst stieg
Arthur King aus der Kutsche. ein kleiner, rundlicher Mann im grauen Anzug,
selbst mit seiner komischen, runden Melone mindestens einen halben Kopf kleiner
als Ben. Die zahlreichen Lachfältchen um seine Augen tanzten, als er überschwänglich
erst seinem Freund und dann Joe die Hände schüttelte. Dann endlich erschien
Amanda. Little Joe verschlug es beinahe die Sprache.
Sie trug ein
rubinrotes, mit schwarzer Spitze besetztes Kleid nach dem neusten, großstädtischen
Chic geschneidert, das für sich allein schon die Blicke aller Umstehenden auf
sich gezogen hätte. Durch die Frau, die es trug, wurde es zur Sensation,
allerdings nicht in einem sehr erfreulichen Sinne. Amanda King hatte sich seit
ihrem letzten Besuch auf der Ponderosa vom kleinen Pummel mit abstehenden
Zöpfen in eine große, massige Frau verwandelt, die ihre üppigen Pfunde nur mit
Mühe aus der Kutsche quälte. Ihr streng nach hinten gekämmtes Haar betonte
zusätzlich ihr rundes, mürrisch dreinblickendes Gesicht. Sie reichte den
Cartwrights zur Begrüßung geziert die knubbelige Hand, und nachdem sie dieses
Mindestmaß an Höflichkeit hinter sich gebracht hatte, konzentrierte sie sich
wieder auf das, was ihr am wichtigsten war: sie selbst.
"Ich bin ganz
erledigt von der Reise. Ich hätte in San Francisco bleiben sollen. Ich habe
noch nie so eine heruntergekommene Stadt gesehen wie diese hier. Ich werde
bestimmt ohnmächtig, wenn ich diese Hitze lange ertragen muss. Ich brauche ein
heißes Bad, aber das ist hier wohl zuviel verlangt. Ich werde dieses Staub und
diesen Gestank nie mehr loswerden. Ich bin durstig. Ich bin auch hungrig, aber
was werden sie hier schon auftischen? Gekochte Klapperschlange oder
Koyotensteak mit Bohnen? Ich habe den ganzen Tag noch nichts Richtiges zu essen
bekommen. Ich..."
"Amanda!"
schalt ihr Vater, dem der Auftritt offensichtlich peinlich war. "Ich
glaube, du hast genug gesagt!"
Ben Cartwright und
sein Sohn tauschten betroffene Blicke. Sie ahnten jetzt, dass die nächsten Tage
auf der Ponderosa nicht leicht werden würden. Little Joe bemühte sich dennoch
um Freundlichkeit.
"Amanda, du
erinnerst dich hoffentlich noch an unseren chinesischen Koch auf der Ponderosa.
Ich bin sicher, dass das Abendessen, das Hop Sing für uns vorbereitet, dir
schmecken wird. Du musst nur mit deinem Vater in unseren Wagen steigen und dich
zur Ranch fahren zu lassen. Hop Sing freut sich schon darauf, unsere Gäste zu
verwöhnen."
"Auf gar keinen
Fall steige ich sofort wieder in einen von diesen klapprigen Karren. Ich bin
viel zu erschöpft nach dieser stundenlangen, entsetzlicher Schaukelei in der
Postkutsche."
"Aber es ist
gar nicht so weit zur Ranch. Wir können langsam fahren und ..." versuchte
Ben, sie umzustimmen. Vergebens. Sie stand da, die Hände in die breiten Hüften
gestemmt wie ein Bierkutscher, das Doppelkinn trotzig vorgeschoben, fest
entschlossen, wie gewohnt ihren Kopf durchzusetzen.
Zum Glück hatte der
Rancher eine Idee, bevor die Situation weiter eskalieren konnte.
"Verstehe", brummte er einlenkend, "dann werden dein Vater und
ich mit dem Wagen zur Ranch vorfahren. Und du kommst mit Little Joe nach, wenn
du dich etwas ausgeruht hast. Ich schlage vor, ihr stärkt euch mit einem
kleinen Imbiss in Miss Sullivans Teestube."
"Aber Pa",
protestiert Joe entsetzt ob dieses Vorschlags "wie sollen wir denn ohne
Wagen zur Ponderosa kommen?"
"In diesem Kaff
kann man sicher irgendwo einen Wagen mieten", belehrte Amanda ihn
hochnäsig, "einen Mietstall gibt es doch in jedem Dorf. Da drüben, direkt
nach diesem primitiven Saloon ist übrigens einer. Das steht auf dem Schild über
dem Tor - falls du lesen kannst."
Joe quittierte ihre
Bemerkung mit einem giftigen Blick, schwieg aber, als er sah, wie sehr Arthur
King schon unter dem unmöglichen Benehmen seiner Tochter litt. Ein paar Minuten
später waren Ben Cartwright, sein Gast und eine Unmenge Gepäck unterwegs zur
Ponderosa und ließen Amanda und ihren unfreiwilligen Kavalier auf dem
Bürgersteig vor dem Büro der Postkutschengesellschaft zurück.
"Und wo gibt es
nun diese Teestube, von der dein Vater sprach? Ich hoffe, ich muss bei dieser
Hitze nicht auch noch durch die ganze Stadt laufen."
Joe zuckte zusammen,
als die nörgelnde Stimme an seiner Seite ihn an seine Pflichten erinnerte. Er
zog eine Grimasse, warf dem davonfahrenden Wagen einen letzten sehnsüchtigen
Blick nach, straffte dann aber entschlossen die Schultern, deutete eine kleine
Verbeugung an, reichte ihr galant seinen Arm und sagte:
"Es ist das hübsche
weiße Haus mit den Blumenkübeln vor den Fenstern. Wenn ich die junge Dame also
zu einem Tee einladen dürfte?"
Amanda starrte ihn
einen Moment verunsichert an. Aber sie konnte nicht feststellen, dass er sich
lustig über sie machte, und sein einladendes Lächeln nahm ihr endgültig allen
Wind aus den Segeln. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und ließ sich über die
Straße geleiten.
In der Teestube fand
Amanda schnell eine neue Gelegenheit, sich unbeliebt zu machen. Als die
freundliche Bedienung ihr stolz die erlesenen Teesorten aufzählte, aus denen
sie wählen konnte, forderte das Mädchen schnippisch:
"Soll ich etwa
Wasser mit Grünzeug trinken? Bringe mir eine heiße Schokolade. Und Kuchen, aber
fix, wenn ich bitten darf. Und binde dir eine saubere Schürze um, diese da hat
einen Fleck,"
Die junge Frau
starrte sie einen Moment betreten an und verschwand dann eilig in der Küche.
Diesmal nahm Little Joe die Unhöflichkeit seiner Begleiterin nicht kommentarlos
hin.
"Was soll das?
Wenn du schlechte Laune hast, musst du sie nicht an Sandy auslassen."
"An
Sandy?" echote Amanda spöttisch, "Sandy? Sie ist eine Indianerin,
falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Ihre roten Brüder überfallen
Postkutschen und stehlen eure Pferde, und du redest von ihr, als gehöre sie zur
Familie."
"Das tut Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon vermutlich
auch bald. Adam geht jedenfalls schon eine Weile regelmäßig mit
ihr aus", erklärte Joe eisig. Er kochte vor Wut, und seine
Selbstbeherrschung schmolz dahin, je länger er Amanda ertragen musste. Sie
starrte ihn fassungslos an.
"Sand-on-the-wie-auch-immer...sie
ist ... Adams Freundin?" fragte sie schließlich ungläubig.
"Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon", korrigierte Joe
ärgerlich. Nicht einmal einen indianischen Namen konnte sich
die dumme Pute merken. "Adam trifft sich schon eine Weile mit ihr. Und ein
paar von ihren pferdestehlenden Brüdern arbeiten für uns. Pa ist sehr zufrieden
mit ihnen. Ich glaube allerdings nicht, dass er sie Postkutschen überfallen lässt."
Das brachte Amanda
endgültig zum Schweigen. Miss Sullivan kam persönlich an ihren Tisch und
brachte Tee für Joe und für Amanda die heiße Schokolade und den Kuchen. Die
mütterliche Frau war höflich, aber längst nicht so freundlich und mitteilsam
wie sonst. Little Joe vermutete nicht ganz zu Unrecht, dass Sandy weinend in
der Küche saß und die Besitzerin der Teestube den dafür verantwortlichen Gast
am liebsten vor die Tür gesetzt hätte. Amanda schien die Ablehnung nicht zu
spüren. Sobald der Kuchen vor ihr stand, interessierte sie sich für nichts
anderes mehr. In Windeseile hatte sie Teller und Tasse geleert, und kaum war
der letzte Krümel verschwunden, erklärte sie gönnerhaft:
"Also gut,
jetzt kannst du mich zur eurer Ranch fahren. Aber vorher will ich noch etwas
von dem Gebäck mitnehmen. Das ist wirklich köstlich, hätte ich dem Laden hier
gar nicht zugetraut."
Little Joe erfüllte
ihr auch diesen Wunsch, obwohl er kaum glauben konnte, dass sie nach zwei
großen Stücken von Miss Sullivans Kirschkuchen noch an Essen denken konnte.
Dann lieh er beim Mietstall einen Einspänner, und endlich waren er und Amanda
auf dem Weg nach Hause.
Auf der Fahrt zur
Ranch saß sie teilnahmslos neben dem jungen Mann und außer gelegentlicher Klagen
über das Tempo oder das Holpern sagte sie nichts. Die beiden kamen gerade
rechtzeitig auf der Ponderosa an, um sich fürs Abendessen frisch zu machen, Joe
stellte ungläubig fest, dass das Mädchen trotz der Torte noch mindestens soviel
aß wie er selbst.
Der Abend auf der
Ranch verlief ruhig und ohne weitere Peinlichkeiten. Ben ließ sich von seinem
Freund nur zu gern zu einer Partie Schach überreden; Adam und Joe spielten
Dame, nachdem sie erleichtert festgestellt hatten, dass Amanda nicht an ihrer
Gesellschaft interessiert war. Offensichtlich hatte Hop Sings kulinarische
Meisterleistung die junge Frau friedlich gestimmt. Sie hatte im Bücherschrank
unter Adams Büchern einige entdeckt, die von Europa berichten, und mit denen
hatte sie sich in den großen Ohrensessel am Kamin verschanzt.
Nachdem Ben und
Arthur ihr Schachspiel beendet hatten, sorgte der Rancher dafür, dass alle ein
Gläschen Brandy als Schlaftrunk eingeschenkt bekamen. Die Männer unterhielten
sich noch eine Weile über die geschäftlichen Vorhaben, die Bens Freund nach
Virginia City geführt hatten. Amanda stand mit einem absolut gelangweiltem
Gesichtsausdruck daneben, nippte ab und zu an ihrem Glas und sagte kein
einziges Wort. Als sich die Gäste nach oben in ihre Zimmer zurückzogen, blieben
die Cartwrights noch einen Moment im Wohnzimmer, um die anstehenden Aufgaben
für den nächsten Tag zu besprechen.
"Pa, diese Frau
ist einfach unmöglich. Ich kann sie nicht ausstehen", jammerte Joe, kaum
das die beiden Kings außer Sicht- und Hörweite waren, "Adam, kannst du
dich nicht mit ihr abgeben? Bitte, ich mache dafür, was du willst. Du kriegst
sogar die fünfzig Dollar, die Pa mir gegeben hat."
Ben mischte sich
schnell ein, bevor Adam antworten konnte.
"Ja, sie ist
wirklich ungewöhnlich", stimmte er bedächtig zu, "ich möchte wissen,
ob sie mehr aus sich herausgeht, wenn man über etwas spricht, das ihr wichtig
ist."
"Du meinst
Essen?" spöttelte Adam belustigt, aber sein Vater fand die Bemerkung nicht
witzig und quittierte sie mit einem missbilligendem Blick. Dann wandte er sich
wieder an seinen Jüngsten.
"Joe, du warst
doch heute eine ganze Weile mit ihr zusammen. Worüber habt ihr gesprochen? Was
interessiert sie? Wenn sie Adams Bücher mag, möchte sie vielleicht mal nach
Europa reisen? Liest sie zu Hause auch so gern? Was macht sie eigentlich den
ganzen Tag in San Francisco?"
Joe starrte seinen
Vater verständnislos an, dann zuckte er mit den Schultern. "Keine Ahnung.
Sie sagt ja kaum was. Und das, was sie sagt, ist bloß dumm."
"Ich habe sie
heute Abend nichts Dummes sagen hören", erwiderte Ben nach kurzem
Nachdenken ruhig, "aber du hast ja viel mehr Zeit mit ihr verbracht. Hat
sie denn gar nichts Nettes an sich, das für sie spricht? Wie ist denn ihr
Lachen?"
"Ihr
Lachen?" wiederholte Joe ratlos. "Worüber sollte die denn
lachen?"
"Hmm",
mische sich Adam ein, der langsam die Absicht seines Vaters erahnte "die
Mädchen in deiner Gesellschaft kichern doch eigentlich schrecklich gern, wenn
du sie unterhältst."
"Das ist ja
wohl was anderes!" fauchte Joe empört, "das sind andere
Mädchen."
"Ist es
das?" fragte sein Vater ernst, "du weißt nicht, was sie mag oder was
sie denkt oder was sie fühlt. Du kennst ihr Lachen nicht und vermutlich auch nicht
ihr Weinen. Du weißt nichts über sie, aber du weißt, dass du sie nicht
ausstehen kannst. Und nur, weil sie etwas mehr wiegt als die Mädchen, mit denen
du gern zusammen bist."
Joe schüttelte
vehement den Kopf. "Nein, nicht nur weil sie dick ist. Aber sie ist dazu
noch eingebildet, unhöflich und rücksichtslos."
"Hast du ihr
denn eine Chance gegeben anders zu sein? Als sie aus der Postkutsche stieg,
stand deine Meinung doch eigentlich schon fest. Vielleicht benutzt sie ihre
Unfreundlichkeit nur als Schutzschild", gab sein Vater vorsichtig zu
bedenken "weil sie schon öfter auf Ablehnung gestoßen ist oder weil sie
einfach unsicher ist. Manchmal verbirgt sich hinter einer rauhen Schale ein
ganz weicher Kern."
Langsam begann Joe
zu verstehen.
"Du meinst, ich
sollte ihr erst einmal Gelegenheit geben zu zeigen, was in ihr steckt?"
Ben nickte.
"Genau das. Ich bin froh, dass du mich verstehst, mein Sohn."
Joe seufzte und gab
sich geschlagen. "Also gut Pa, ich kümmere mich weiter um sie. Aber wenn
deine harte Schale - weicher Kern Theorie stimmt, ist sie bestimmt eine
Kokosnuß." Adam wollte etwas dazu sagen, aber Joe kam ihm in einem Anflug
von Selbstironie zuvor und ergänzte trocken: "und ich bin der Affe, der
sie knackt."
Alle drei lachten,
als sie nach oben gingen.
***
Offenbar hatte
Amanda gut geschlafen, denn beim Frühstück am nächsten Morgen schaufelte sie
schon wieder enorme Mengen in sich herein. Und offensichtlich versetzten sie
die leckeren Pfannkuchen mit Ahornsirup und die anderen Köstlichkeiten, die Hop
Sing aufgeboten hatte, in ausgesprochen gute Laune, denn plötzlich überraschte
sie alle, als sie ganz von alleine ein Gespräch begann:
"Onkel Ben, was
ist eigentlich aus dem hübschen Hengstfohlen von damals geworden? Hast du es
verkauft?"
"Du meinst den
kleinen Fuchs, der geboren wurde, als du das letzte Mal hier warst? Der ist
noch hier. Der Kleine hat sich prächtig entwickelt."
"Kann ich ihn
sehen?" Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr Vater, Adam und Little Joe
sie sprachlos anstarrten. Sie blickte verschämt auf ihren Teller.
Ben Cartwright half
ihr freundlich aus der Verlegenheit: "Das ist eine gute Idee, eine sehr
gute Idee. Der Fuchs ist in der Herde am Bears Canyon. Wenn du möchtest, kannst
du gleich nach dem Frühstück aufbrechen. Joe begleitet dich bestimmt gern. Der
Weg dahin ist nicht schwierig zu reiten."
"Oh",
murmelte das Mädchen enttäuscht, "ich kann nicht reiten. Ich habe noch nie
auf einem Pferd gesessen."
"Mit dem Wagen
kommt man da aber leider nicht hin", erklärte Adam bedauernd.
"Ich kann
Amanda doch im Reiten unterrichten", überraschte da plötzlich Little Joes
ritterlicher Vorschlag die Frühstückstafelrunde "und wenn sie sich in ein
paar Tagen sicher genug fühlt, reiten wir zum Bears Canyon." Er lächelte
Amanda aufmunternd zu: "Gleich nach dem Frühstück ziehst du dich um, und
wir fangen an."
"Umziehen? Was
ist denn nicht in Ordnung mit meinem Kleid?" fragte das Mädchen und sah
unsicher an sich herunter. An diesem Morgen trug sie ein dunkelgrünes Kleid,
nicht weniger auffällig und nicht weniger elegant als das Rote vom Tag zuvor.
"Ganz im
Gegenteil, das Kleid ist bezaubernd", beruhigte Adam sie galant lächelnd,
"aber gerade deshalb eignet es sich nicht zum Reiten. Da wäre eine Hose
besser geeignet."
Ben gewann ein wenig
den Eindruck, dass beide Söhne ihrem Gast gegenüber nicht mehr so ablehnend
eingestellt waren. Er zwinkerte Arthur belustigt zu.
"Eine
Hose?" fragte Amanda gedehnt und erklärte dann sehr entschieden: "Ich
ziehe keine Hosen an."
"Aber heute
tragen doch auch Frauen Hosen beim Reiten. Das ist nämlich bequemer",
versuchte auch Joe, sie zu überzeugen.
"Woher willst
du das wissen?" konterte das Mädchen schnippisch, "bist du schon mal
in Kleidern geritten?"
"Amanda!"
mische sich nun ihr Vater ein, "du solltest dich freuen, dass Little Joe
dir helfen will, anstatt dich so kindisch zu benehmen."
"Aber ich
besitze gar keine Hose", erklärte sie triumphierend. Doch sie freute sich
zu früh.
"Dann kauf' dir
eine!" befahl Arthur King kurz und bündig. Seine Tochter schnappte
überrascht nach Luft, schwieg aber nun trotzig.
Also kutschierte Joe
sie nach dem Frühstück wieder nach Virginia City. Der junge Cartwright rechnete
wieder mit einer schweigenden Begleiterin, und zunächst saß Amanda auch stumm
neben ihm und starrte unglücklich auf das Pferdehinterteil vor ihnen. Aber
plötzlich brach sie ihr Schweigen und es wurde klar, was sie die ganze Zeit so
bedrückte:
"Ob es wohl
Hosen in meiner Größe gibt? Ich meine, ich bin ... also ich...ich sehe bestimmt
schrecklich aus in einer Hose."
Little Joe brachte
das Pferd zum stehen und sah Amanda an. Er fühlte intuitiv, wie wichtig seine
Antwort für das Mädchen sein würde. Er dachte an die Worte seines Vaters vom
vorangegangenen Abend.
"Weißt du, das
Pferd achtet eigentlich gar nicht so sehr darauf, was du anhast. Es hat viel zu
viel damit zu tun, darauf zu achten, ob du am Zügel ziehst oder ihn freigibst,
wie du im Sattel sitzt oder was du mit deinen Schenkeln tust", alberte er
gekünstelt.
"Du meinst, dem
Pferd ist es egal, was ich anhabe? Da bin ich aber froh", sagte Amanda und
zu Joes Überraschung huschte sogar ein Lächeln über ihr Gesicht. Aber dann
wurde sie wieder ernst. "Und was denkst du?"
"Hm",
antwortete Little Joe nach kurzem Nachdenken "was ich denke, ist
eigentlich genauso egal. Wichtig ist, dass du dich wohlfühlst. Und wenn du
keine Hosen magst, wie wäre es dann mit einem Hosenrock? Miss Langley verkauft
Stoffe in ihrem Laden, und sie ist Schneiderin. Ich bin sicher, sie kann dir
was Hübsches nähen."
"Ich kann
selbst ganz gut nähen, und ein Hosenrock ist eine tolle Idee. Bring mich nur
schnell zu dieser Miss Langley, ich möchte mir einen schönen Stoff aussuchen.
Ob es etwas in Blau gibt? Ich mag Blau."
Amanda war plötzlich
Feuer und Flamme von der Idee. Joe trieb das Pferd wieder an. Bis sie in die
Stadt kamen, löcherte Amanda ihn mit tausend Fragen zum Thema Reiten: Wie
schwer ein Sattel ist, warum man immer von links aufsteigen soll, ob die
Gebissstange nicht weh tut im Pferdemaul, wie alt ein Pferd ist, wenn man es
zureitet und und und. Joe gab sich alle Mühe, ihren Wissensdurst zu stillen und
war fast ein bisschen überrascht, als sie plötzlich mitten in Virginia City
standen.
"Wir sind
da", erklärte der junge Mann und sprang von der Kutsche. Dann half er
seiner Begleiterin galant beim Aussteigen. "'Langlys Ladies' ist gleich da
vorne, neben dem Barbier."
"Danke."
Sie lächelte ihn tatsächlich an, und Little Joe lächelte verblüfft zurück.
"Hast du nichts
zu erledigen in Virginia City? Ich denke, ich werde eine Weile brauchen, bis
ich mich entschieden habe. Du könntest mich in einer halben Stunde dort
abholen."
"Nein...das
heißt ja .. ich meine, ich hole dich ab." Joe war froh, nicht in diesem Laden,
in dem es logischerweise nie männliche Kunden gab, ausharren zu müssen. Er
wartete, bis Amanda die Straße überquert und das Geschäft erreicht hatte, dann
ging er hinüber zum Waffenschmied, um, wahrscheinlich zum hundertsten Mal, das
neue Gewehr im Schaufenster zu betrachten, das er sich so gern gekauft hätte.
Amanda betrat den
Laden und fühlte sich sogleich in ihrem Element. Miss Langley hatte eine ganze
Reihe von blauen und blau-gemusterten Stoffen, die sich für einen Hosenrock zu
eignen schienen und gab hilfsbereit Auskunft über Material, Qualität und Preis.
Während das Mädchen noch unentschlossen die Stoffballen hin und her schob,
betraten drei neue Kundinnen den Laden. Es waren drei junge Mädchen, die, kaum
dass sie Amanda sahen, kicherten und sie provokativ anstarrten.
"Ist das nicht
die Tussi, mit der Little Joe seit kurzem rumzieht?" fragte eine von
ihnen.
"Ja, genau,
gestern war er mit ihr in Miss Sullivans Teestube. Die ist ja kaum zu
übersehen. Vielleicht sucht sie schon Stoff für ein Brautkleid", alberte
die nächste.
"Soso, möchte
sich einen Cartwright angeln, die Dicke. Hoffentlich hat Miss Langley
ausreichen Stoff für ein Kleid. Zwei Ballen müssen es ja mindestens sein, nicht
wahr?" meinte die dritte.
Alle drei kicherten
ausgelassen. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, leise zu sprechen, und so
hatte das Mädchen jeden Wort verstanden. Mit hochrotem Kopf stürzte sie aus dem
Laden, ohne etwas zu kaufen.
Joe Cartwright
beobachtete von der anderen Straßenseite überrascht, wie zunächst Amanda aus
dem Laden gehastet kam, und kurz darauf noch drei Mädchen von Miss Langley
offensichtlich aus dem Geschäft gescheucht wurden. Eilig lief er hinüber zum
Laden und hörte gerade noch, wie Miss Langley den jungen Frauen nachrief:
"Ihr solltet
euch was schämen. Kommt wieder, wenn ihr gelernt habt, euch zu benehmen."
"Was war denn
los? Was hat sie nun schon wieder angestellt?" fragte der junge Mann
ärgerlich. Dahinter steckte gewiss wieder eine von Amandas Eskapaden. Doch zu
seiner Überraschung erzählte Miss Langley eine ganz andere Geschichte. Little
Joes Ärger wandelte sich in Bestürzung.
"Das war
wirklich gemein von Dorothy Lewis und ihren Freundinnen. Ich muss sie sofort
suchen", erklärte er mitleidsvoll.
"Lass ihr ruhig
ein bisschen Zeit, die Fassung wiederzufinden, Little Joe", riet Miss
Langley "weißt du zufällig, wofür sie den Stoff braucht? Ich möchte ihr
nämlich gern etwas mitgeben, als Wiedergutmachung sozusagen."
"Sie wollte
sich einen Hosenrock nähen - zum Reiten."
"Einen
Hosenrock?" Miss Langley runzelte missbilligend die Stirn. "Das
sollte sie lieber lassen. Das steht ihr nicht. Was sie braucht, ist eine gut
geschnittene Hose. Da fällt mir ein ... warte bitte einen Moment hier."
Schon war sie in ihrem
Geschäft verschwunden. Little Joe lehnte sich demonstrativ unbeteiligt an einen
Holzpfosten, während er vor Langleys 'Ladies' ausharrte und sorgsam vermied,
sich die Auslagen im Schaufenster anzusehen. Er betete inständig, dass keiner
seiner Freunde ihn gerade dort erspähte.
Endlich kam Miss
Langley zurück. Sie drückte ihm ein kleines, sorgfältig verschnürtes Päckchen
in die Hand.
"Das ist eine
Hose, die ich mal genäht habe. Sie wurde aber nie abgeholt. Nimm sie für Miss
King mit und sag dem Mädchen, wie leid mir der Vorfall tut", erklärte sie
energisch.
Little Joe nahm das
Paket, erinnerte sich aber plötzlich an Amandas Bedenken.
"Ob das wohl
die richtige Größe ist? Amanda ist nämlich ... ich meine ... sie meint ...
"
"Junger Mann,
ich bin seit zwanzig Jahren Schneiderin. Wenn ich sage, die Hose passt, dann
paßt sie auch. Die junge Dame muss höchstens die Beine etwas kürzen, aber wenn
sie sich zutraut, einen Hosenrock zu nähen, wird das sicher kein Problem
sein."
Miss Langley ließ
keinen Zweifel an ihrer Kompetenz zu, und unter ihrem strengen Blick verstummte
der jüngste Cartwright schuldbewusst. Er dankte, verabschiedete sich höflich
und ging zurück zum Wagen. Dort verstaute er das Päckchen, schob den Hut in den
Nacken und sah sich prüfend um. Seine Hoffnung, dass das Mädchen vielleicht bei
der Kutsche auf seine Rückkehr wartete, erfüllte sich nicht. Amanda war
nirgendwo zu sehen. Unbehaglich malte er sich aus, was sein Vater sagen würde,
wenn er ohne den Gast zur Ranch zurückkäme. Er seufzte und schob entschlossen
den Hut wieder gerade. Er musste sich wohl oder übel auf die Suche nach ihr
machen.
Es gab eigentlich
nur einen Ort in Virginia City, den sie kannte: Miss Sullivans Teestube. Dort
musste er mit der Suche beginnen. Amanda war tatsächlich in die Teestube
geflüchtet und saß jetzt an einem der Tische, vor sich Tee und einen großes
Stück Kuchen. Bei ihr am Tisch saß - und hier wartete die zweite Überraschung
auf Little Joe - bei ihr saß Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon und hielt
tröstend ihre Hand. Die beiden Frauen hatten die Köpfe zusammengesteckt und
Sandy redete leise flüsternd auf Amanda ein.
Als Little Joe an
ihren Tisch trat, blickte nur die Indianerin auf. Amanda hielt den Kopf
gesenkt, weil der junge Mann ihre Tränen nicht sehen sollte. Joe merkte, dass
er störte, aber es wäre auch unhöflich gewesen, grußlos wieder zu gehen.
"Hallo Sandy,
wie geht's?", begann er, so unbekümmert wie möglich, und vermied jede
Anspielung auf das Geschehene, "Amanda, ich wollte dir nur sagen, dass ich
noch etwas erledigen muss. Ist es dir recht, wenn wir uns in einer halben
Stunde an der Kutsche treffen?"
"Ja, ich warte
dann dort", schluchzte Amanda in ihren Kuchen hinein.
"Also dann,
Ladies, ich muss wieder los." Joe tippte kurz an den Hutrand und trat
unbehaglich den Rückzug an, traurig darüber, dass er das Mädchen nicht besser
trösten konnte. Über Amandas Kopf hinweg nickte Sandy ihm aufmunternd zu, sie
würde sich schon darum kümmern.
Zur verabredeten
Zeit wartete Amanda am Wagen. Ihre Tränen waren verschwunden, aber sie sah
immer noch traurig aus und ließ sich diesmal auch nicht von Joes freundlichen
Lächeln anstecken. Während der gesamten Rückfahrt schwieg sie und presste nur
die Tüte mit Gebäck an sich, die Sandy ihr mitgegeben hatte. Little Joe gab es
nach einigen vergeblichen Versuchen auf, sie aufzuheitern oder wenigstens von
ihrem Kummer abzulenken. Als sie endlich wieder auf der Ranch angekommen waren,
lief das Mädchen sofort ins Haus, während Joe sich daran machte, das Pferd auszuspannen.
Als Little Joe eine
Weile später mit Miss Langleys Päckchen unterm Arm eintrat, war Hop Sing gerade
dabei, ein Tablett mit Sandwichs und einem Glas Milch zur Treppe zu tragen.
"Hallo Hop
Sing. Für wen ist denn das?"
"Das sein Elflischung
fül Missi Amanda. Sie sehl tlaulig."
"Allerdings",
bestätigte der jüngste Cartwright bekümmert, "warte, ich nehme dir das ab
und bringe es ihr."
Also trippelte Hop
Sing zurück in sein Küchenreich, und Joe trug das Tablett vorsichtig die Treppe
hinauf. Er klopfte kurz an Amandas Zimmertür und nahm das leise "Ja?"
als Aufforderung einzutreten.
Amanda saß im
Sessel, ein Buch und die Tüte Gebäck neben sich auf dem kleine Tisch. Sie
starrte aus dem Fenster, ohne sich umzusehen.
"Hop Sing hat
dir eine kleine Elflischung feltiggemacht", parodierte Joe freundlich den
kleinen chinesischen Koch der Ponderosa und stellte das Tablett auf dem
Tischchen ab. Das Geschenk von Miss Langley legte er daneben. Das Mädchen
drehte sich um. Es war nicht zu übersehen, dass sie wieder geweint hatte.
"Danke."
Da sah sie das Päckchen. "Was ist das?"
"Ich weiß nicht
genau. Das hat Miss Langley für dich eingepackt. Ich bin übrigens draußen,
falls es dir hier oben alleine zu langweilig werden sollte."
Little Joe ging zum
Stall und begann lustlos damit, Sattelzeug zu flicken und die Sattelkammer
aufzuräumen. Dabei ging ihm das Mädchen nicht aus dem Kopf. Sie tat ihm leid,
und es machte ihn richtig wütend, wenn er daran dachte, wie grausam Dorothy
Lewis und ihre Freundinnen sich ihr gegenüber benommen hatten. Ärgerlich kickte
er gegen einen leeren Eimer, der scheppernd durch den Stall flog.
"Hat dir der
Eimer was getan?" fragte jemand.
Joe wirbelte herum.
In der Stalltür stand Amanda. Sie trug eine schwarze Hose und eine rotes Hemd
und hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als Joe sie so
überrascht anstarrte, begann sie, unruhig an ihrer Hose zu zupfen.
"Sehe ich so
entsetzlich aus?"
"Nein und
nein", lächelte Joe und als sie ihn verständnislos ansah, ergänzte er
"der Eimer hat mir nichts getan, und du siehst völlig normal aus - eben
so, wie jemand aussieht, der einen Ausritt machen will."
"Würde der
jemand denn jemanden finden, der ihr zeigt, wie's geht?" fragte sie scheu.
"Schon
gefunden", lachte Joe und zog sie in den Stall, "ich werde dir jetzt
als erstes dein zukünftiges Pferd zeigen. Darf ich vorstellen? Chubb, das ist
Amanda. Amanda, das ist Chubb."
Amanda kraulte dem
Pferd vorsichtig die Mähne, und der hochbeinige Braune schnaubte zur Antwort.
Offensichtlich gefiel ihm die sanfte Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkte.
"Chubb ist das
Pferd von Hoss. Ich habe versprochen, mich um sein Pferd zu kümmern, solange er
unterwegs ist", erklärte Joe und schleppte seinen Sattel heran. Amanda sah
aufmerksam zu, wie er Cochise sattelte. Als er danach Chubb aus der Box führte
und den zweiten Sattel holte, bestand sie darauf, ihr Pferd selbst aufzuzäumen
und zu satteln, und für ein Stadtmädchen ging sie überraschend unerschrocken
ans Werk. Joe hatte nicht mehr zu tun, als ihr ein paar hilfreiche Anweisungen
zu geben und nachher zu überprüfen, ob der Sattel auch richtig auflag und fest
genug saß. Sie führten die Pferde hinaus auf die Koppel.
"Reiten wir
jetzt los? Was muss ich machen?" fragte Amanda eifrig.
"Mach' alles
genauso wie ich", kommandierte Little Joe und schwang sich auf seinen
Schecken. Amanda blickte ihn ungläubig an und brach unerwartet in schallendes
Gelächter aus. Jetzt war es an Joe, sie ungläubig anzustarren. Ihre
Fröhlichkeit war so mitreißend, dass er schließlich unbekümmert mitlachte, ohne
den Grund für ihre Vergnügtheit zu kennen. Dann wollte er allerdings wissen:
"Was ist eigentlich so lustig? Wir haben ja noch gar nicht angefangen."
"Du hast
gesagt, ich soll alles genauso machen wie du", erklärte Amanda und bemühte
sich japsend um Fassung, "und dann bist du einfach in den Sattel geflogen.
Du erwartest doch nicht wirklich, dass ich das nachmache, oder?"
Joe grinste.
"Sorry Ma'am,
macht die Gewohnheit, ich steige immer so auf. Aber du solltest es natürlich
erst mal auf die traditionelle Art versuchen. Geh von links an das Pferd heran,
stecke das linke Bein in den Steigbügel, dann holst du Schwung und ziehst dich
hoch. Ganz einfach."
Amanda trat also
tapfer zu Chubb, nestelte ein bisschen am Sattel, schaffte es dann schließlich,
ihren Fuß hoch genug zu heben, um den Steigbügel zu erreichen und ... in diesem
Moment wurde es Chubb zu langweilig, so unbeweglich auf der Koppel zu stehen. Sie
machte ein paar zögernde Schritte nach vorne, Amanda stieß erschrocken einen
kleine Schrei aus, vollführte kurz eine Art vertikales Spagat in der Luft und
hing anschließend mehr oder weniger hilflos unter dem Pferdebauch, die Hände um
den Steigbügel verkrampft.
Little Joe sprang
erschrocken von seinem Pferd und packte Chubbs Zügel gerade noch rechtzeitig.
Kaum stand das Tier still, plumpste Amanda höchst undamenhaft zu Boden. Doch
anstatt in Tränen auszubrechen oder sich bitter zu beklagen, fing sie wieder an
zu lachen. Auch diesmal ließ Joe sich mitreißen.
Amanda ließ sich von
Joe aufhelfen, dann versuchte sie tapfer ein zweites Mal, aufs Pferd zu turnen.
Diesmal blieb Joe neben Chubby stehen und achtete darauf, dass das Pferd sich
nicht von der Stelle rührte. Dennoch war Amanda immer noch nicht erfolgreicher.
Mit dem linken Fuß im Steigbügel machte sie auf dem rechten Bein ein paar
unbeholfene Hopser, schaffte es aber nicht, das Bein über den Sattel zu
schwingen. Little Joe war versucht, ihr einen kleinen Schubs zur Unterstützung
zu geben und überlegte verzweifelt, wie er das anstellen könnte, ohne ein wenig
schickliches Körperteil zu berühren, doch da hatte sie es plötzlich geschafft.
Atemlos, mit vor Anstrengung rotem Kopf und voller Stolz rutschte sie im Sattel
herum und fragte erwartungsvoll:
"Und
jetzt?"
"Und jetzt
steigst du wieder ab und versuchst, etwas schneller aufs Pferd zu kommen."
"Aber..."
"Kein 'aber',
das ist die erste Lektion: auf- und absteigen in weniger als einer
Viertelstunde."
Amanda gehorchte
kichernd. Little Joe ließ das Mädchen gnadenlos ein Dutzend Mal in den Sattel
klettern und tatsächlich, irgendwann hatte sie es begriffen und stieg
einigermaßen zügig auf und ab.
Little Joe schwang
sich nun wieder auf sein eigenes Pferd, dirigierte Cochise neben sie und
erklärte, wie sie im Sattel sitzen und die Zügel halten sollte. Dann endlich
durfte sie auf der Koppel die ersten Gehversuche zu Pferd neben ihm machen. Der
jüngste Cartwright unterrichtete sie den ganzen Nachmittag mit Engelsgeduld,
ohne sich auch nur einmal über ihre komische Unbeholfenheit lustig zu machen,
wenn sie im Sattel von links nach rechts und von vorne nach hinten rutschte.
Ganz im Gegenteil, dem jungen Mann gefiel mehr und mehr, wie sanft und
vorsichtig sie trotz allem mit Chubb umging und die fröhliche Unbefangenheit,
mit der sie sich über ihre eigenen Schwächen lustig machte.
Abends war Amanda so
hingerissen von ihrer ersten Reitstunde, dass sie beim Abendessen mit
leuchtenden Augen allen davon berichtete, jede Einzelheit enthusiastisch
beschrieb und vor lauter Begeisterung kaum zum Essen kam.
Am nächsten Morgen
war ihr Enthusiasmus allerdings einem schrecklichen Muskelkater gewichen. Die
junge Frau konnte beim Frühstück kaum sitzen. Ben warf Little Joe einen
ungnädigen Blick zu, als er dem Gast teilnehmend ein bequemes Kissen reichte,
aber sein Sohn war sich keiner Schuld bewusst. Schließlich hatte er Amanda
mehrfach vorgeschlagen, es beim ersten Mal nicht zu übertreiben, aber sie hatte
nicht auf ihn hören wollen.
Ben und Arthur
schlugen Sohn und Tochter eine Kutschfahrt zum See und ein Picknick vor, aber
Amanda überraschte alle, als sie tapfer ablehnte und statt dessen lieber
möglichst schnell mit der nächsten Reitstunde beginnen wollte.
Also sattelten die
beiden sofort nach dem Frühstück die Pferde und führten sie in den Hof. Little
Joe schüttelte ablehnend den Kopf, als seine Schülerin das Tor zur Koppel
aufmachen wollte.
"Das ist
langweilig. Wir reiten ein bisschen ins Gelände", erklärte der junge Mann.
"Kann ich das
denn schon?" fragte Amanda zögernd. "Wenn das Pferd durchgeht, kann
ich es bestimmt nicht aufhalten."
Little Joe lachte
keck. "Ich passe schon auf dich auf. Außerdem macht das keinen
Unterschied. Wenn Chubb hier auf der Koppel durchgeht, wird sie dieses kleine
Zäunchen auch nicht aufhalten."
Er schwang sich aufs
Pferd und wartete, bis sie aufgesessen war. Dann zockelten sie gemächlich los.
Erst am späten Nachmittag trotteten die beiden wieder gemütlich auf den Hof der
Ponderosa zurück und ihren vergnügten Mienen war anzusehen, dass sie den Tag
genossen hatten.
Ben saß am
Schreibtisch, als die beiden fröhlich ins Haus gestürmt kamen. Nachdem sie kurz
Bericht erstattet hatten über den Ausritt, ging Amanda hinauf auf ihr Zimmer,
um sich umzuziehen. Little Joe wollte sich draußen noch ein bisschen nützlich
machen, aber sein Vater hielt ihn zurück.
"Na mein Sohn,
offensichtlich hast du deine Meinung über die Kokosnuss inzwischen
geändert", neckte Ben lächelnd.
"Ja Pa, du hattest
Recht. Wenn man sie ein bisschen kennen gelernt hat, ist sie eigentlich ganz
nett." Es machte Joe nichts aus, seinen Irrtum zuzugeben.
"Joe, ich habe
eine Bitte. Als ich heute morgen mit Arthur in der Stadt war, haben wir die
Ankündigung für den Tanz morgen Abend im International House gesehen. Wir
halten es für eine gute Idee, wenn du Amanda dazu einlädst. Dann lernt sie auch
mal ein paar andere Damen und Herren ihres Alters kennen."
Little Joe war vom
Vorschlag seines Vaters wenig begeistert. Er dachte an das Fiasko bei 'Langleys
Ladies' und konnte sich kaum vorstellen, dass das Mädchen gern die
Bekanntschaft mit Dorothy Lewis und ihren Freundinnen vertieft hätte.
"Ich weiß
nicht", antwortete er gedehnt, "hier draußen ist es mit ihr ja ganz
okay - aber in der Stadt..."
Ben Cartwright
verstand sein Zögern falsch, denn er wusste ja nichts von Amandas schlimmen
Erlebnis bei ihrem letzten Besuch in der Stadt.
"Verstehe",
brummte er, nicht ahnend, dass er überhaupt nicht verstand, "du meinst,
dafür fallen noch ein paar Extra-Spesen an. Zwanzig Dollar?"
Überraschenderweise
schüttelte sein Jüngster vehement den Kopf, als er die Brieftasche hervorholte.
"Nein, darum geht's nicht. Du hast mir schon mehr als genug gegeben."
"Wirklich sehr
ritterlich", kommentierte Ben amüsiert und steckte die Brieftasche wieder
ein, "dann sind wir uns also einig. Ihr beiden geht morgen Abend zum
Tanzen. Ihr werdet bestimmt viel Spaß haben."
***
Beim Abendessen war Amanda
auffallend still und desinteressiert. Dabei gaben sich alle Mühe, sie in das
Tischgespräch einzubeziehen und aufzuheitern. Aber sie schwieg hartnäckig.
Arthur King warf schließlich in aller Unschuld das heikle Thema Tanzabend in
die Diskussion:
"Na Ben, morgen
Abend können wir ja noch einmal in aller Ruhe eine Partie Schach spielen. Die
jungen Leute haben ja was Besseres vor, nicht wahr?"
Little Joe reagierte
sichtlich verlegen. "Ich habe eigentlich noch gar nicht gefragt, aber ich
tue es jetzt. Also Amanda, möchtest du mich morgen Abend zum Tanzen nach
Virginia City begleiten?"
Fast alle waren
verwirrt, als das Mädchen ganz entschieden ablehnte: "Nein danke, ich mag
nicht."
Adam war der
Einzige, der sich unbeeindruckt zeigte: "Ach du meine Güte, mit wem bist
du denn verabredet? Jedes Mädchen in Virginia City träumt von einem Date mit
unserm haselnussäugigen Romeo und du lehnst ab?"
Aber Amanda war
nicht zu beirren. "Na, dann findet er bestimmt schnell eine andere, die
mit ihm ausgeht", konterte sie schnippisch und schaufelte weiter
Süßkartoffeln und Schweinebraten in sich hinein.
"Ich will gar
keine andere", murmelte Little Joe leise, doch Amanda warf ihm nur einen
bösen Blick zu. Ben bemühte sich verlegen um ein anderes Thema und bald
diskutierten alle außer Amanda die Vor- und Nachteile der geplanten
Eisenbahnlinie zwischen Truckee und Virginia City.
Amanda kam am
nächsten Morgen nicht zum Frühstück. Ihr Vater entschuldigte sie, obwohl er ihr
die plötzlichen Kopfschmerzen nicht glaubte. Die plötzliche Rückkehr zu ihren
Launen war ihm ganz offensichtlich unangenehm und ihm ebenso unerklärlich wie
den Cartwrights.
Deshalb ging Little
Joe nach dem Frühstück direkt zu ihr nach oben.
"Meinst du, du
fühlst dich nachher gut genug für einen Ausritt?
"Nein",
antwortete sie abweisend, doch so schnell wollte Litte Joe sich nicht
geschlagen geben.
"Schade. Ich
dachte eigentlich, wir könnten es heute wagen, zum Bears Canyon zu
reiten."
"Bekommst du dafür
eine Extraprämie oder ist das im Preis enthalten?" giftete sie ihn
plötzlich an.
"Wie meinst du
das?" fragte Joe verständnislos.
"Wie ich es
gesagt habe. Wie viel bekommst du denn dafür, dass du dich so rührend um mich
kümmerst?"
Der junge Mann war
erschüttert, als er ihre Frage begriff.
"Oh Gott, du
hast uns gestern Nachmittag gehört?" Er trat zu ihr und wollte tröstend
ihre Hände greifen, aber sie entzog sich ihm. "Das tut mir leid, sehr
leid. Das ist alles ein furchtbares Missverständnis", murmelte Little Joe.
"Ist es
das?" fragte sie höhnisch. "Dann sag mir, dass du kein Geld dafür
bekommst, mich bei Laune zu halten."
"Nein...eigentlich
schon...aber nicht wirklich...du bist ganz anders, als ich gedacht habe"
stammelte der junge Mann verlegen, "ich wollte mich nicht um die kleine
Göre mit den abstehenden Zöpfen kümmern, die mein Pferd schwarz
anstreicht."
Für einen Augenblick
wich die Kälte aus ihrem Blick.
"Daran
erinnerst du dich noch? Meine Güte, was seid ihr alle sauer auf mich gewesen damals."
Joe sah eine winzige
Chance, sie umzustimmen.
"Aber wir haben
dir verziehen. Verzeihst du mir auch?"
Sie sah ihn ernst
an.
"Ich denke
darüber nach. Aber jetzt muss ich mich umziehen. Ich habe meinem Vater
versprochen, ihn heute zu begleiten."
Joe blieb gar nichts
anderes übrig, als ihre Wünsche zu respektieren. Er ging hinunter, um Adam bei
den täglichen Rancharbeiten zu helfen. Zu zweit ging alles ein bisschen
schneller als sonst, so dass sie am Nachmittag früh fertig waren und gutgelaunt
nach Hause kamen.
Kaum hatten die
beiden Brüder das Ranchhaus betreten, klopfte es an der Tür und Joe ging hin um
zu öffnen. Dort stand Jack, einer der Rancharbeiter, der einen Brief für Adam
aus Virginia City mitgebracht hatte. Joe nahm ihn an und gab ihn seinem Bruder,
nachdem er vorher neugierig auf den Absender geschaut hatte.
"Huihuihui, Liebesgrüße von
Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon. Sie kann's wohl gar
nicht abwarten. Du hast's gut, du hast wenigstens nette Gesellschaft heute
Abend."
Adam riss ihm
wortlos den Umschlag aus der Hand und begann zu lesen. Als er fertig war
zerknüllte er, einem plötzlichen Impuls folgend, den Brief und warf ihn ins
Feuer. Mit unbewegter Miene sah er zu, wie die Flammen das Papier auffraßen.
"Ist was nicht
in Ordnung?" fragte Joe besorgt, denn sein großer Bruder war selten so
unbeherrscht.
"Allerdings.
Sandy kommt heute Abend nicht mit zum Tanz."
"Sandy kommt
nicht mit? Das ist aber schade. Warum nicht?"
"Weil ihre
beiden Kids das Kleid, was sie tragen wollte, kaputtgemacht haben. Und sie ist
natürlich zu stolz und zu stur, ein Neues von mir anzunehmen", erklärte
Adam bitter.
"Und gerade
deshalb magst du sie", konstatierte Joe trocken. Adam sagte dazu nichts,
sondern starrte weiter ins Feuer.
"Hm, vermutlich
hast du recht", bestätigte er nach einer Weile nachdenklich, "aber es
ist trotzdem jammerschade. Ich hatte gehofft, Sandy heute abend endlich
überzeugen zu können."
"Überzeugen
wovon?" Joe erwartete fast, dass Adam seine Absicht gestehen würde, die
junge Witwe zu heiraten, und es hätte ihn ebenso sehr gefreut wie den Rest der
Familie. Adam zögerte. Es fiel ihm nicht leicht, seine Gefühle zu offenbaren.
"Jedes Mal,
wenn ich Sandy sagen will, wie viel sie mir bedeutet, weicht sie mir aus. Ich
fühle, dass sie mich ebenso sehr liebt wie ich sie, aber sie will sich das
nicht eingestehen. Ich habe versucht, ihre Gründe zu verstehen. Ich glaube, sie
hat Angst davor, dass mich ihre Herkunft und ihre Armut eines Tages stören
könnten, und vor dieser Enttäuschung will sie sich schützen."
"Wie kommt sie
nur auf solchen Unsinn?"
"Durch das
Gerede der Leute, Joe. Du kennst doch die Lästermäuler von Virginia City.
Gerade deshalb habe ich gehofft, dass dieser Tanzabend etwas ändert. Sandy soll
merken, dass ich mich mit ihr in der Öffentlichkeit nicht schäme."
Joe legte ihm
tröstend die Hand auf die Schulter.
"Vielleicht
beim nächsten Mal", murmelte er.
"Ja, vielleicht
beim nächsten Mal", stimmte Adam halbherzig zu. Dann streifte er plötzlich
Little Joes Hand ab, nahm seinen Hut und eilte wortlos nach draußen.
Plötzlich war es
still in dem großen Wohnraum der Ponderosa. Joe überlegte, ob er seinem Bruder
nachgehen sollte, entschied sich aber dagegen. Adam musste allein mit seiner
Enttäuschung fertig werden, niemand konnte ihm da helfen. Das leise Rascheln
von umgeblätterten Buchseiten riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken fuhr er
herum. Amanda hatte unbemerkt in dem Ohrensessel am Kamin gesessen und gelesen.
"Na, immer noch
böse auf mich? Chubb wird den Ausritt mit dir heute bestimmt vermissen. Und ich
auch. Bitte komm doch mit", bettelte er sanft und blickte sie dabei aus
seinen ausdrucksstarken Augen so flehentlich an wie ein junger Hund, der um
seinen Lieblingsknochen bettelte.
"Danke, ich
habe was Besseres vor", antwortete das Mädchen, klappte energisch ihr Buch
zu und stand auf, "und du auch."
"Was
denn?" fragte Little Joe misstrauisch. Das Mädchen machte plötzlich einen
zu allem entschlossenen Eindruck, der ihn beunruhigte.
"Wir machen
Sand-on-the-wie-auch-immer ein neues Kleid. Sieh mich bitte nicht so
vorwurfsvoll an, ich habe nicht gelauscht. Ihr habt direkt neben mir gestanden,
ich konnte euch nicht überhören."
"Der Name ist
Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon", korrigierte Joe mechanisch,
"und wo willst du so schnell ein Kleid herzaubern?"
"Ich ändere
einfach eines von meinen. Ich muss es doch nur etwas kürzen und viel enger
machen. Das geht schnell."
Die
Selbstverständlichkeit, mit der sie das sagte, zerstreute Joes Zweifel, noch
ehe der richtig gedeihen konnte. Mehr noch, er sah plötzlich eine Möglichkeit,
seinem Bruder zu helfen. Begeistert drückte er das Mädchen an sich.
"Super! Wenn du
das hinkriegen könntest! Was soll ich tun?"
"Ich habe mein Nähzeug
in meinem Zimmer. Bringe eine Schneiderpuppe hoch, und dann suchen wir zusammen
ein Kleid aus", kommandierte Amanda und löste sich schweren Herzens aus
seiner Umarmung. Zu gern hätte sie seine starken Armen noch eine kleine Weile
gespürt.
"Eine Schneiderpuppe?
Was ist das?" Little Joe starrte sie verwirrt an.
"Oh, so etwas
habt ihr hier wohl nicht. Was machen wir denn jetzt?" Für einen Moment
starrte sie ebenso ratlos zurück, doch plötzlich begann sie, scheinbar
grundlos, zu kichern. "Ich weiß, was wir machen. Los, komm mit!" Sie
stürmte so schnell die Treppe hinauf, dass Joe ihr kaum folgen konnte.
Amanda sauste zum
Kleiderschrank und zog der Reihe nach ihre Kleider heraus. Little Joe gefiel
ein schlichtes Goldgelbes am Besten, das vermutlich gut zu Sandys dunkler Haut
und den schwarzen Haaren passen würde.
"Dann nehmen
wir das", entschied Amanda ohne Zögern, obwohl es ihr Lieblingskleid war,
das sie selbst nur bei ganz besonderen Anlässen trug. "Los, zieh es
an."
"Waas?"
Little Joe blickte ungläubig abwechselnd auf das Mädchen und das Kleid.
"Ja, du hast
richtig gehört. Zieh es an, damit ich es abstecken kann, sonst werden die Nähte
schief und krumm."
"Aber ich kann
doch kein Kleid anziehen", protestierte der junge Mann empört.
"Stell dich nicht
so an. Du sollst damit ja nicht draußen rumspazieren", konterte sie
gelassen.
"Nein!"
"Doch!"
"Niemals!"
"Tue's für Adam
Und für Sand-on-the-wie-auch-immer. Und für mich. Bitte!"
"Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon",
korrigierte Joe wie immer und machte den Fehler, ihr in die Augen zu sehen. Sie
schaute nun genau so flehend drein, wie vorher, als er sie zum Ausritt
überreden wollte. Er gab nach.
"Okay, unter
einer Bedingung."
"Was
denn?"
"Du gehst heute
Abend mit mir auch zu dem Tanz."
Sie zögerte nur
einen kurzen Moment. "Einverstanden. Und jetzt mach endlich."
Seufzend griff er
nach dem Kleid und streifte es sich über.
Amanda zupfte ein
bisschen an ihm herum, als er völlig verlegen in der goldgelben Pracht vor ihr
stand, schüttelte dann den Kopf und sagte enttäuscht:
"Schade, aber
so geht das nicht. Das Kleid geht nicht zu, und es hat überhaupt keine
Form."
Little Joe wollte
nicht so schnell aufgeben. Er dachte angestrengt nach, und plötzlich leuchteten
seinen haselnussbraunen Augen auf.
"Wir haben noch
einen Chance. Schnell, hilf mir erst einmal aus diesem Ungetüm."
Er schlängelte sich
aus den Unmengen von Stoff, während Amanda ihm das Kleid vorsichtig über den
Kopf zog.
"Was hast du
vor?" fragte sie zweifelnd.
Verstrubbelt
schnappte Joe erst einmal nach Luft, als er wieder aus den goldgelben
Stoffbergen auftauchte.
"Warum lauft
ihr Frauen bloß mit solchen Dingern 'rum?" fragte er vorwurfsvoll.
Amanda grinste:
"Vermutlich, damit ihr Männer hinter uns herlauft. Aber jetzt sag endlich,
wie wir das Kleid retten können."
"Ich werde mein
Hemd und die Hose ausziehen und es dann noch einmal versuchen. Dann müsste das
Kleid eigentlich zugehen."
Er begann
unverzüglich, sein Hemd aufzuknöpfen. Als Amanda ihn mit großen Augen
anstarrte, zwinkerte er ihr zu. "Keine Sorge, ich habe da noch was da
drunter."
"Wenn du schon
dabei bist, meinen Ruf zu ruinieren, ist das ist ja wohl das Mindeste",
kommentierte Amanda vergnügt und kein bisschen schockiert, "schließlich
ist es nicht sonderlich schicklich, dass ein junger Mann sich in meinem
Schlafzimmer auszieht."
"Außergewöhnliche
Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen" kommentierte Joe
trocken, und streifte als nächstes die Stiefel ab.
Das Mädchen musterte
ihn von oben bis unten, als Little Joe schließlich in Unterhosen vor ihr stand.
"Ist dir
eigentlich klar, dass ich dich heiraten müsste, wenn unsere Väter jetzt nach
Hause kämen?" kicherte sie ausgelassen.
"Na und? Ich
könnte mir Schlimmeres vorstellen", antwortete er und kicherte ebenfalls.
Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich waren beide ernst. Joe zog das Mädchen
an und gab ihr einen stürmischen Kuss, den sie ebenso leidenschaftlich
erwiderte. Danach blickten sich beide verwirrt an. Amanda raffte verlegen das
Kleid zusammen und drückte es Joe in die Arme.
"Dann versuche
es jetzt noch mal. Wenn ich das Kleid noch ändern soll, müssen wir uns
beeilen."
Diesmal ließ sich
das Kleid tatsächlich zumachen. Joe musste auf einen Stuhl steigen und Amanda
begann unverzüglich, mit ein paar Stecknadeln den Saum abzustecken. Joe tat
einen kleine erschrockenen Hopser, als von unten im Wohnzimmer plötzlich Adams
Stimme zu hören war.
"Little Joe?
Bist du da oben? Joe, wo steckst du?"
Die Stimme wurde
lauter und Joe geriet in Panik, als er seinen Bruder auf der Treppe hörte. Er
versuchte hektisch, sich aus dem Kleid zu winden, verfing sich aber im Stoff,
als er ungeschickt an den Knöpfen am Rücken nestelte."
"Steh still, sonst
wird der Saum ungleichmäßig", kommandierte Amanda nuschelnd, weil ihr ein
paar Stecknadeln zwischen die Lippen klemmten.
Inzwischen war Adam
oben vor Amandas Zimmer angekommen. Da die Tür nur angelehnt war, bemerkte er,
dass jemand im Zimmer war. Er klopfte und die Tür schwang auf.
"Amanda,
entschuldige, wenn ich störe. Hast du meinen Bruder ges... oh."
Diesmal war selbst
Adam, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen konnte, sprachlos. Er stand
da, an den Türrahmen gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und bestaunte
fasziniert den Anblick, den Little Joe, in diesem gelben Kleid auf dem Stuhl
balancierend, bot. Auf seinem Gesicht bereitete sich langsam ein süffisantes
Lächeln aus.
"Adam, hör' auf
zu grinsen. Es gibt einen Grund dafür, einen ganz vernünftigen Grund."
Joe, der endlich akzeptieren musste, dass er ohne fremde Hilfe nicht aus diesem
goldgelben Fummel herauskam, trat die Flucht nach vorn an. Sein Bruder blieb
unbeeindruckt.
"Ich weiß gar
nicht, ob ich deine Erklärung hören will. Sie kann nicht besser sein, als das,
was ich mir denke", entgegnete er spöttisch.
Das war mehr, als
sein kleiner Bruder ertrug. Trotz Kleid hechtete er vom Stuhl und stürzte sich
auf Adam, der gerade noch rechtzeitig zur Seite auswich. Joe knallte vor den
Türpfosten, verlor das Gleichgewicht und rutschte zu Boden. Total in das Kleid
verheddert, versuchte er wieder hochzukommen, um Adam zu fassen zu kriegen. Der
riß abwehrend die Fäuste hoch.
"Wollt ihr wohl
aufhören, ihr beiden! Ihr macht ja das Kleid kaputt! Joe, Adam! Schluss
jetzt!"
Die beiden
Cartwright-Brüder funkelten sich wütend an, hielten aber inne, als Amanda sie
so energisch ausschimpfte. Das Mädchen nutzte die Gelegenheit und erklärte Adam
den Grund für Joes Aufmachung. Adam nahm beeindruckt die Fäuste wieder runter.
"Das ist
wirklich sehr nett von dir ... und von dir auch, kleiner Bruder." Er
streckte Joe die Hand entgegen und zog ihn aus seiner Kleiderfalle hoch.
"Kann ich irgend etwas tun, um euch zu unterstützen?"
In diesem Moment
hörten sie, wie unten Ben Cartwright und Arthur King das Haus betraten.
"Auch das
noch", murmelte Joe und wurde bleich.
Amanda behielt die
Fassung. "Geh' runter und lenke sie ab. Wir brauchen nur noch ein paar
Minuten."
Mit diesen Worten schubste
sie Adam aus dem Zimmer und schloss die Tür.
"Ich bin
neugierig, was Amanda zu dem Geschenk sagt. Ich sehe mal nach, ob sie oben
ist", hörte Adam ihren Vater gerade sagen und beeilte sich, nach unten zu
kommen. Er traf Arthur King mit einem kleine Päckchen unter dem Arm auf dem
Treppenabsatz und blockierte wie zufällig den Weg nach oben.
"Hallo, schon
zurück? Na, waren die Geschäfte erfolgreich, Mister King?"
"Das kann man
wohl sagen, Adam, dein Vater ist ein ganz ausgekochtes Schlitzohr. Durch sein
Verhandlungsgeschick habe ich heute ein paar hundert Dollar gespart." Ben
Cartwrights Freund strahlte übers ganze Gesicht.
"Na, das ist
doch ein Grund zum Feiern. Wie wär's mit einem kleinen Brandy?"
Er packte den
kleinen Mann sanft bei den Schultern und dirigierte ihn so wieder die Treppe
hinunter. Ben Cartwright entging dieses Manöver nicht, und er fragte sich ein
bisschen irritiert, warum Adam seinen Freund nicht nach oben lassen wollte. Er
nahm sich vor, seinen Sohn später danach zu fragen, aber solange Arthur dabei
war, konnte er nur gastfreundlich auf den Vorschlag eingehen.
"Eine gute
Idee, Adam, das ist wirklich ein Grund zum Anstoßen."
Er schenkte den
Brandy ein und reichte seinem Freund und seinem Sohn ein Glas. Arthur King nahm
es, sah sich plötzlich suchend um und erklärte leutselig:
"Little Joes
Pferd stand doch draußen. Ich könnte mir denken, der junge Mann würde auch gern
so einen guten Tropfen genießen. Wo steckt er denn?"
"Oben. Er kommt
gleich."
Adams Antwort kam
wie aus der Pistole geschossen, und Ben hatte plötzlich das unbehagliche
Gefühl, dass Adams merkwürdiges Verhalten etwas mit seinem jüngsten Sohn zu tun
haben könnte. Arthur King merkte allerdings nichts. Er hatte inzwischen sein
Glas geleert und das kleine Päckchen, das er vorher nach oben bringen wollte,
wieder aufgenommen.
"Ich möchte
Amanda jetzt ihr Geschenk bringen", erklärte er und ging zur Treppe.
"Mister King,
welches Stück Land haben Sie denn nun genau gekauft?" fragte Adam
interessiert.
"Die Balder-Ranch.
Sie war seit Monaten unbewirtschaftet und billig zu haben. Wenn die V&T
ihre Pläne wahrmacht, bin ich ein reicher Mann. Naja, nicht so reich wie mein
Freund Ben, aber immerhin."
"Welche Pläne
hat denn die Eisenbahn? Das hört sich vielversprechend an." Adam war
geradezu Feuer und Flamme, und Arthur King ging kam zuvorkommend zurück zum
Schreibtisch und holte die Landkarte, die er vorhin dort abgelegt hatte. Er
rollte sie aus und erklärte, wo das neue Gleis gebaut werden sollte und wo die
Viehverladestation geplant war. Beides lag im Gebiet der Balder-Ranch und würde
den Preis für das Land mit Sicherheit verdreifachen. Adam versuchte
verzweifelt, sich immer neue Fragen zu überlegen, als endlich Little Joe mit
einem unschuldigen Lächeln die Treppe heruntergeschlendert kam und ihn erlöste.
"Hallo Pa,
Mister King, ihr seid schon zurück. Und wie geht's? Heißt der neue Besitzer der
Balder-Ranch jetzt Arthur King?"
"Ja, mein
Junge, und dank deines Vaters habe ich eine Menge Geld gespart",
bestätigte Arthur King stolz, "aber jetzt will ich es endlich Amanda
erzählen. Ist sie oben?"
"Ich...ich
denke schon." Little Joe fragte sich besorgt, warum sein Vater ihn so
durchdringend ansah. Kaum war Arthur King die Treppe hoch gegangen und in
Amandas Zimmer verschwunden, da forderte Ben auch schon streng eine Erklärung
von seinem Jüngsten.
"Also gut, ich
höre. Joseph, was ist da oben passiert? Und, junger Mann, bevor du antwortest,
solltest du dich richtig anziehen."
Little Joe sah an
sich herunter und stellte erschrocken fest, dass sein Hemd nicht richtig
zugeknöpft war und zudem auch noch halb aus der Hose hing. Mit knallrotem Kopf
brachte er seine Kleidung in Ordnung.
"Pa, das sieht
schlimmer aus als es ist. Unser Kleiner hat zwar ein unglaubliches Talent, sich
in Schwierigkeiten zu bringen, aber diesmal hat er ausnahmsweise nichts
ausgefressen", kam Adam seinem Bruder zu Hilfe.
"Dann weißt du
also, was er da oben gemacht hat, halb angezogen, bei einer jungen Dame im
Zimmer?"
"Ja, Sir."
Der Vater wartete
einen Moment, aber beide Söhne wichen verlegen seinem Blick aus, schwiegen
eisern und waren offensichtlich fest entschlossen, ihn nicht freiwillig in ihr
Geheimnis einzuweihen. Ben Cartwright wusste, dass sie ihn nicht anlügen
würden, wenn er auf eine Erklärung bestand, aber er respektierte ihren Wunsch,
ihr Geheimnis nicht preiszugeben. Und er wusste, dass er Adam vertrauen konnte,
wenn der sich zu Joes Fürsprecher machte. Es ließ die beiden noch ein bisschen
zappeln, aber dann siegte das Mitleid:
"Ach verschwindet.
Wenn ihr heute Abend ausgehen wollt, solltet ihr euch langsam in eure besten
Anzüge werfen. Die Damen tanzen sonst nämlich gar nicht erst mit euch."
Adam und Joe
starrten ihren Vater ungläubig an, rührten sich aber nicht von der Stelle.
"Na, haut schon
ab. Und amüsiert euch heute Abend." Er unterstrich seine Worte mit einem
kurzen Kopfnicken Richtung Treppe, und diesmal brauchten die beiden keine
weitere Aufforderung. Adam und Joe sausten augenblicklich los.
Ben sah ihnen nach,
als sie einträchtig die Treppe hoch stürmten. Dann fiel sein Blick auf die
Landkarte, die Arthur ausgebreitet hatte. Dort war auch die Ponderosa
eingezeichnet. Ganz in Gedanken fuhr er mit dem Finger ihre Grenzen entlang.
Die Leute nannten ihn oft einen reichen Mann, weil er ein so erhabenes,
wertvolles Stück Land sein Eigen nannte. Nun, sie hatten Recht und Unrecht
zugleich. Er war reich, sehr reich sogar - aber nicht, weil ihm dieses
herrliche Land gehörte. Sein Reichtum, das war seine Familie, auf die er sich
verlassen konnte. Seine Söhne, die ihm so wichtig waren, wie er ihnen. Die
Cartwrights, die trotz gelegentlicher Reibereien bedingungslos zusammenhielten,
wenn es darauf ankam. Er lächelte, als er die Karte zusammenrollte.
***
Amanda gelang es,
sozusagen in einem Gespräch von Frau zu Frau,
Sand-on-the-bank-of-the-lake-under-the-moon zu überreden, das Kleid anzunehmen
und sie, Joe und Adam zum Tanz zu begleiten. Der Abend wurde für beide Paare
ein wunderschönes Erlebnis, zuerst ausgelassen bei fröhlicher Musik und später
ganz ruhig am Ufer des Lake Tahoe. Dort sorgte zuletzt der Vollmond dafür, dass
der See sich in seinem schönsten Silberkleid zeigte, als die vier dort in jener
Nacht bei einer Flasche Champagner ihr Zusammensein genossen.
Als Amanda und ihr
Vater zwei Tage später wieder in die Postkutsche stiegen, standen Ben und Joe
Cartwright auch wieder am Straßenrand vor dem Stage Line Büro, um den Kings
eine gute Heimreise zu wünschen. Und Little Joe trat auch jetzt wieder
unglücklich von einem Fuß auf den andern, allerdings hatte sein Kummer einen
anderen Grund als vor eine Woche. Dass Amanda versprochen hatte, ihm oft zu
schreiben und ganz bestimmt bald wiederzukommen, tröstete ihn nur wenig. Sie
war ein ganz besonderer Mensch und jetzt, wo er ihr Lachen, ihr Weinen und ein
bisschen ihre Seele kannte, hätte er "seine Kokosnuss" am liebsten
gar nicht mehr losgelassen.
Und das Gebäck, dass
ihr Sandy zum Abschied geschenkt hatte, verteilte Amanda auf der Fahrt an die
Mitreisenden, ohne selbst davon zu essen.