Ein
Langfinger namens Perry
von Heike
„Ein gutes Geschäft“, freute sich Little Joe
Cartwright, als er zusammen mit seinem Vater das Büro der Minengesellschaft
verließ.
„Ja, ich bin ganz zufrieden“, bestätigte Ben,
während er sorgfältig die prall gefüllte Brieftasche in der Westentasche
verstaute. „Aber ich werde mich erst richtig wohl fühlen, wenn das Geld auf dem
Konto ist. Zu dumm, daß die Bank heute nachmittag geschlossen hat. Am besten,
wir reiten heim.“
„Ja, Sir“, stimmte Joe verhalten zu und
schlenderte langsam zu seinem Schecken. Ben entging der enttäuschte Blick
nicht, mit dem sein jüngster Sohn zum Saloon hinüber blickte.
„Ziemlich heiß heute. Was hältst du von einem
kühlen Bier vor dem Heimritt?“
„Ja, Pa.“ Dieser Vorschlag erntete deutlich
mehr Begeisterung.
Im ‘Bucket Of Blood’ herrschte Hochbetrieb,
als die beiden Cartwrights durch die Pendeltür in die angenehme Kühle des
Schankraumes traten. Little Joe, der an einem Tische im Hintergrund Freunde beim
Pokern entdeckte, schob sich durch die Menge, um ‘hallo’ zu sagen, Ben eroberte
sich einen Platz an der Theke, um beim Barkeeper für seinen Sohn und sich ein
Bier zu bestellen. Als der Rancher sich dann mit einem vollen Glas in jeder
Hand umdrehte, um nach einem freien Tisch Ausschau zu halten, stieß er mit dem
jungen Mann zusammen, der kurz nach den Cartwrights in den Saloon gekommen und
ebenfalls an die Bar getreten war.
„Entschuldigung“, bedauerte Ben Cartwright
seine Ungeschicklichkeit.
„Das trocknet wieder“, entgegnete der Fremde
gelassen, während er nachlässig über seine speckige Lederweste rieb. Die
struppige, dreckverkrustete, blonde Mähne, der ungepflegte Dreitagebart und die
schmutzige, ausgefranste Kleidung deuteten darauf hin, daß er sowieso nicht
viel Wert auf sein Äußeres legte. Da der Besitzer der Ponderosa immer noch mit
beiden Biergläsern vor ihm stand, fügte der junge Mann augenzwinkernd hinzu:
„Ist eins davon zufällig für mich?“
„Bitte“, antwortete der Rancher und reichte
ihm ein Bier „eine Hälfte ist ohnehin schon auf Ihrer Weste.“
Der Fremde wollte gerade den ersten Schluck
trinken, da befahl eine Stimme hinter ihm „Hände hoch“ - und der Lauf eines
Revolvers drückte unangenehm hart gegen seine Rippen. Ganz, ganz langsam
stellte der junge Mann das Bier auf die Theke und gehorchte.
„Nur nicht aufregen, Fremder. Ich bin nicht
bewaffnet“, versuchte er, den Angreifer, von dem er kaum mehr sah als einen
grünen Jackenärmel, zu besänftigen. Little Joe Cartwright überzeugte sich mit
einem kurzen Blick davon, daß er die Wahrheit sagte. Er steckte den Revolver
wieder ins Holster und packte statt dessen den Arm des Fremden.
„Little Joe, was hat das zu bedeuten?“ Ben
Cartwright hatte sich inzwischen von der Überraschung erholt und blickte verwundert
zu seinen Sohn, dessen haselnußbraunen Augen immer noch wütend funkelten.
„Ich habe ihn vom Tisch aus beobachtet. Er
hat deine Brieftasche gestohlen, als er dich angerempelt hat.“
Ben griff sofort prüfend in die Westentasche.
„Tatsächlich, sie ist weg.“
Völlig unerwartet rammte der mutmaßliche Dieb
Little Joe den Ellenbogen in die Rippen und nutzte seine Überraschung, sich aus
dem Griff zu winden. Er stieß den Jüngeren der Cartwrights grob zur Seite und
hastete zum Ausgang. Aber Little Joe war blitzschnell wieder auf den Beinen.
Mit einem wagemutigen Sprung hechtete er hinterher und bekam den Flüchtenden im
letzten Moment zu fassen. Ineinander verkeilt prallten sie gegen einen der
Tische, der krachend unter ihnen zusammenbrach. Voller Verzweiflung schlug der
junge Dieb wild um sich, aber Joe, etwas größer als ein Gegner und immer noch
wütend, war ihm überlegen. Drei, vier Hiebe reichten aus, daß sich der Junge
unter ihm nicht mehr wehrte. Joe stand schwer atmend auf, sein Gegner blieb
stöhnend zwischen den Überresten des geborstenen Tisches sitzen und massierte
sich sein lädiertes Kinn. Neben ihm lag unübersehbar Bens Brieftasche, die ihm
im Kampf aus der Tasche gerutscht war.
***
Roy Coffee ließ sich seine Überraschung nicht
anmerken, als Vater und Sohn Cartwright ein paar Minuten später mit ihrem Fang
sein Büro betraten. Nachdem er sich ihren Bericht angehört hatte, wandte er
sich fragend an den jungen Mann, der bisher zu allen Vorwürfen geschwiegen
hatte.
„Und was sagst du dazu?“
„Pech gehabt“, kommentierte der Angesprochene
achselzuckend.
Roy Coffee wartete, aber der Junge sagte
nicht mehr dazu. „Dann muß ich dich einsperren. Die Bürger von Virginia City
mögen keine Diebe.“ Der Sheriff nahm gemächlich den großen Schlüsselring aus
der Schublade und öffnete eine der Zellen im Gefängnisanbau. Joe bugsierte den
Dieb unsanft hinein und Roy Coffee verriegelte die Tür. Ben Cartwright
beobachtete die kleine Einschließprozedur von der Tür aus.
***
Beim Abendessen berichteten Ben und Joe den
beiden anderen von ihrem Erlebnis in Virginia City. Hoss entging nicht, daß
sein Vater kaum etwas zu Little Joes lebhaftem Bericht beisteuerte, sondern
nachdenklich vor sich hin starrte und kaum etwas aß.
„He Pa, man könnte meinen, es ist dir gar
nicht recht, daß dieser schmuddelige Dieb hinter Schloß und Riegel verschwunden
ist.“
„Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich
nicht. Ich habe ihn ins Gefängnis gebracht, weil er gestohlen hat. Aber gehört
er da wirklich hin? Er ist fast noch ein Kind.“
Joe konnte seine Bedenken überhaupt nicht
verstehen. „Du meinst Mister ‘Pech gehabt’? Diesem kaltschnäuzigem Bengel
schaden ein paar Monate hinter Gittern bestimmt nicht.“
„Joe, ich habe zufällig seine Augen gesehen,
als Roy die Zellentür geschlossen hat. Da war nichts Kaltschnäuziges mehr, nur
Unsicherheit, vielleicht sogar Angst.“
„Meinst du nicht“ mischte sich nun auch Adam
in das Gespräch. „daß ihn das abschreckt? Wenn ihm Roy Coffee genug Angst
macht, dann bleiben ihm vielleicht härtere Zeiten erspart im Staatsgefängnis
von Carson City. Dort werden die Häftlinge nicht gerade mit Samthandschuhen
angefaßt, weder von den Aufsehern noch von den Mitgefangenen.“
Vielleicht gab das den Ausschlag. Ben schwieg
noch ein paar Minuten nachdenklich, doch dann erklärte er entschlossen: „Ich
werde die Anzeige morgen früh zurückziehen.“
Seine drei Söhne brauchten ihn nur anzusehen
um zu begreifen, wie wichtig ihm die Sache war. Sie widersprachen nicht, und
Adam wechselte taktvoll das Thema. „Über unser Grubenholz für die Ophir-Mine
habt ihr noch gar nichts erzählt. Ist alles nach Plan verlaufen beim
Vertragsabschluß?“ Bald wandte sich ihr Gespräch erfreulicheren Dingen zu.
***
Am nächsten Morgen wunderte sich Sheriff
Coffee über seinen frühen Besucher. „Was treibt dich denn schon hierher? Hat
man dir alle Rinder gestohlen? Ich habe keine Lust, schon so früh am Morgen ein
Protokoll aufzunehmen, also nimm dir erst einmal einen Kaffee, bevor du mir
Arbeit machst.“
Ben Cartwright blieb unbeeindruckt von der
bärbeißigen Begrüßung seines langjährigen Freundes. „Ganz im Gegenteil, Roy,
ich will dir Arbeit ersparen,“ erklärte er ruhig, während er sich eine Tasse
vollgoß.
„Das hört sich schon besser an“, brummte der
Ordnungshüter „und wie willst mir Arbeit ersparen?“
Ben antwortete mit einer Gegenfrage: „Wie
geht’s deinem Gefangenen?“
„Nach seinem Appetit zu urteilen,
ausgesprochen gut. Bei den Mengen, die der zum Frühstück verdrückt hat, wäre
sogar Hoss vor Neid erblaßt. Ich vermute, er hat seit Wochen nichts Richtiges
mehr zu Essen gehabt.“
„Was weißt du noch von ihm?“
Roy Coffee zuckte mit den Schultern. „Kaum
mehr als du: Perry Hike, siebzehn Jahre, keine Familie, kein Zuhause. Dieser
Herumtreiber ist nicht gerade gesprächig. Aber soweit ich feststellen konnte,
wird er nicht steckbrieflich gesucht.“
„Gut, ich möchte nämlich, daß du ihn laufen
läßt.“
„Das kann nicht dein Ernst sein. Ben, er ist
ein Dieb!“
„Ich weiß, ich weiß, Roy. Trotzdem will ich
die Anzeige zurückziehen. Er ist fast noch ein Kind und gehört nicht in ein
Gefängnis. Außerdem bin ich nicht zu Schaden gekommen.“
Der Sheriff kannte den Rancher lange genug,
um zu wissen, daß dieser sich seine Entscheidung überlegt hatte und sie sich
nicht mehr ausreden lassen würde. Er schob ihm den Zellenschlüssel über den
Tisch und prophezeite düster: „Irgendwann wirst du deine Gutmütigkeit bestimmt
noch mal bereuen, Ben.“
Perry Hike erhob sich zögernd von der Gefängnispritsche,
als Ben Cartwright zu ihm an das Gitter trat. Der Rancher konnte seine
Überraschung kaum verbergen, denn fast hätte er den Gefangenen nicht
wiedererkannt. Gewaschen und rasiert, die goldblonden Locken ordentlich gekämmt
und in einem sauberen, viel zu großen Hemd (dessen Vorbesitzer wahrscheinlich
der Sheriff von Virginia City gewesen war) wirkte der Bursche noch jünger und
harmloser als am Abend zuvor. Ben war froh, daß er sich gegen die Anzeige
entschieden hatte. Allerdings hatte die Nacht im Gefängnis den Jungen
keineswegs eingeschüchtert.
„Hoher Besuch am frühen Morgen? Leider kann
ich Ihnen keinen Platz anbieten, Mister Cartwright“, bedauerte er ironisch und
deutete mit einem zynischen Lächeln auf das Gitter und die Pritsche, dem einzigen
Möbel seiner Zelle.
„Das läßt sich ändern“, antwortete Ben
freundlich und schloß die Tür auf.
Durch diese unerwartete Reaktion wurde die
zur Schau gestellte Gelassenheit arg erschüttert. „Was, zum Teufel, soll das
bedeuten?“ fragte der junge Mann und starrte auf die sperrangelweit geöffnete
Tür, ohne sich zu rühren.
„Du kannst gehen,“ befahl der Herr der
Ponderosa und lächelte ermutigend.
„Wohin?“ Perry Hike blickte immer noch
verständnislos auf den Rancher und die Tür.
„Wohin
willst du denn?“
„Ich - ich weiß nicht.“
„Falls du Arbeit suchst, kannst du noch heute
bei mir anfangen. Ich besitze eine große Ranch. Die Ponderosa braucht immer
Leute.“
Da huschte wieder das zynische Lächeln über
Perry Hikes Gesicht. „Ach, so läuft das. Wir ersparen der Stadt das
Gerichtsverfahren, und statt im Knast Steine zu schleppen, darf ich Ihre Kühe
hüten - vermutlich unentgeltlich, nicht wahr?“
Ben Cartwright brauchte einen Moment, um die
Unterstellung zu begreifen. „Nein, so läuft das nicht“, antwortete er leicht
verärgert. „Falls du für mich arbeitest, bekommst du den Lohn, der dir zusteht.
Aber deine Freilassung ist nicht an Bedingungen geknüpft. Du kannst auch
einfach von hier verschwinden, wenn dir das lieber ist.“
„Klar ist mir das lieber.“
Vorsichtig näherte der Junge sich dem Gitter,
ließ dabei seinen Wohltäter, dessen Absichten er nicht einschätzen konnte,
nicht aus den Augen. An der Zellentür blieb Perry Hike stehen und musterte den
anderen wortlos. Da der Rancher halb in der Tür stand, war der Weg in die
Freiheit blockiert oder führte ihn zumindest gefährlich nahe an diesem
undurchschaubaren Fremden namens Ben Cartwright vorbei. Ben begriff und trat
einen Schritt zurück. Der junge Mann drückte sich an ihm vorbei. Immer noch
mißtrauisch und unsicher um sich blickend huschte er wieselflink zur Hintertür
hinaus.
Roy Coffee hatte von seinem Büro aus einen
Teil des Gesprächs mitgehört. „Der Kerl hat es nicht einmal für nötig gehalten,
danke zu sagen“, empörte er sich, als der junge Dieb verschwunden ist.
„Das“, lächelte Ben nachsichtig, „habe ich
auch nicht erwartet.“
Da es in den folgenden Woche viel zu tun gab
auf der Ponderosa, verschwendete keiner der Cartwrights noch einen Gedanken an
den jungen Taschendieb.
***
Zwei Monate später war Ben Cartwright auf dem
Heimweg von Gardnerville. Er konnte mit dem neuen Holzliefervertrag, den er in
der Tasche trug, zufrieden sein. Allerdings waren seine Geschäftspartner erst
nach zähen Verhandlungen zur Unterschrift bereit gewesen, dadurch hatte die
ganze Angelegenheit länger gedauert als geplant. Jetzt freute er sich seine
Pfeife, seinen gemütlichen Sessel am Kamin und natürlich auf das Wiedersehen
mit seinen drei Söhnen, die bestimmt schon ungeduldig auf seine Ankunft warteten.
Ob sie wohl ohne ihn zurechtkamen? Er lächelte, als er sich seiner Zweifel
bewußt wurde. Seinem umsichtigen Ältesten konnte er unbesorgt die Führung der
Ponderosa überlassen; Adam kannte das Tagesgeschäft der Ranch genau und würde
alle Aufgaben verantwortungsbewußt erledigen. Sein zweitältester Sohn war
seinem Bruder bestimmt ein zuverlässiger Helfer.
Bens Lächeln wich plötzlich einem eher
nachdenklichen Gesichtsausdruck. Adams und Hoss wichtigste Aufgabe bestand
allerdings darin, auf das jüngste Mitglied der Familie Cartwright aufzupassen.
Leider waren die großen Brüder nicht immer erfolgreich damit, denn Little Joe
hatte eine unglaubliche Begabung, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Manchmal
war es sein jugendlicher Übermut, manchmal sein unbezähmbares Temperament,
manchmal nur eine Verkettung unglücklicher Umstände, aber bei seinem Jüngsten
konnte jedes harmlose Pokerspiel im Saloon, jeder Botenritt in die
Nachbarstadt, jede hübsche rothaarige, blonde oder brünette Fremde, die aus der
Postkutsche stieg, zu einem Desaster werden. Im Fall der hübschen Fremden aus
der Postkutsche war eine Katastrophe sogar fast unvermeidlich, denn Adam und
Hoss waren auch nicht immun gegen weibliche Reize. Plötzlich lächelte der
stattliche Mann mit dem silbergrauen Haar wieder. Die drei waren eben die Söhne
ihres Vaters.
Da sah er den Wegweiser: ‘Angels Dream 15
miles’. Ben Cartwright zögerte. In einer Stunde würde es dunkel sein, dann
würde er irgendwo im Freien sein Nachtlager aufschlagen müssen. Wenn er aber zu
diesem Ort ritt, würde er ein Bett und eine warme Mahlzeit finden, dafür
allerdings einen Umweg von ein paar Stunden in Kauf nehmen müssen.
„Los Buck“, befahl er entschlossen und lenkte
seinen Falben in Richtung Angels Dream, „die Jungs halten es auch ein paar
Stunden länger ohne uns aus. Ich habe wirklich Lust auf ein kühles Bier.“
Als er etwas später erwartungsvoll die
Hauptstraße von Angels Dream entlangritt, fragte er sich allerdings verwundert,
warum die Engel von diesem Ort träumen sollten. Außer einem Haufen
heruntergekommenen Wohnhäusern gab es nur vier öffentliche Gebäude, die auch
nicht gepflegter aussahen: der einzige Laden, der auch als Postoffice und
Telegrafenstation fungierte, das Büro des Sheriffs, der Mietstall, der auch den
Hufschmied beherbergte und der Saloon, der gleichzeitig das Gotteshaus von
Angels Dream zu sein schien, denn einmal im Monat wurde dort sonntags ein
Gottesdienst abgehalten. Das stand jedenfalls auf dem Holzbrett, das neben die
Pendeltür vom ‘Angels Drink’ genagelt war. Ein zweites Brett daneben versprach
‘Room and Board’, deshalb trat Ben müde in die Kühle des Schankraums, nachdem
er sein Pferd im Mietstall untergebracht hatte.
Das Bier war warm, das Steak zäh und der
Barkeeper hinter der Theke extrem unfreundlich. Inzwischen bereute Ben
Cartwright seinen Entschluß, dem Traum der Engel geglaubt zu haben, mehr und
mehr, aber jetzt war es auch schon zu spät, wieder loszureiten. Müde steuerte
er auf die Treppe zu, die zu den Schlafzimmern im ersten Stock hinaufführte.
„He Cartwright, alter Gauner, welche dunklen
Geschäfte treiben Sie denn nach Angels Dream?“ polterte plötzlich eine
Männerstimme quer durch den Raum, gerade als er die unterste Stufe erreicht
hatte.
Der Rancher drehte sich mehr irritiert als
verärgert um. Er war es zwar nicht gewohnt, in diesem Ton angesprochen zu
werden, aber so schnell war er auch nicht aus der Ruhe zu bringen. Er erkannte
den Mann, der quer durch den Saloon gerufen hatte, sofort. Der mächtige Abe
Jenkins war in Nevada kein Unbekannter und dem Herrn der Ponderosa schon mehr
als einmal bei Vertragsabschlüssen in die Quere gekommen. Ben Cartwright mochte
ihn nicht, zumal Jenkins oft mit dubiosen Methoden seine Ziele zu erreichen
versuchte. Aber dennoch, die Höflichkeit gebot es, zu ihm zu gehen und ihn zu
begrüßen. Jenkins stellte ihm seinen Begleiter und Geschäftspartner in Angels
Dream vor, Jeff Tremont. Wie er wortreich erklärte, betrieben sie in diesem
Städtchen zusammen eine gutgehende Transportgesellschaft, die die umliegenden
Silberminen mit Grubenholz versorgte.
„Freut mich, ihre Bekanntschaft zu machen,
Mister Cartwright. Ich fühle mich äußerst geehrt, endlich einmal den
angesehenen, hochgeschätzten Besitzer der berühmten, mächtigen Ponderosa
kennenzulernen.“
Jeff Tremonts Fistelstimmchen paßte so gar
nicht zu seiner massigen Gestalt, und seine Art, sich so anzubiedern, behagte
Ben auch nicht. Aber er willigte schließlich ein, sich mit den beiden an einen
der Tische zu setzen und ein Bier mit ihnen zu trinken. Wie dann der Streit entstand
und worum es genau ging, vermochte Ben im Nachhinein kaum noch zu sagen. Es
begann jedenfalls mit weiteren anzüglichen Bemerkungen über seine
Geschäftspraktiken, die der Besitzer der Ponderosa nicht einfach hinnahm, und
endete schließlich damit, daß Jenkins und Tremont wutentbrannt aus dem Saloon
stürmten.
„Das war mein Ernst. Das wirst du bereuen,
Abe Jenkins“, drohte Ben Cartwright hinter den davoneilenden Geschäftsleuten
her, und erst als er sah, daß die anderen Männer im Saloon ihn neugierig anstarrten,
wurde ihm bewußt, wie laut er seiner Verärgerung Luft gemacht hatte. Also nahm
er sich zusammen und setzte sich scheinbar gelassen wieder an den Tisch.
Allerdings ärgerte der Streit ihn immer noch, auch wenn er es jetzt nicht mehr
so offensichtlich zeigte. Der Rancher entschied, daß ein kurzer Spaziergang
durch die kühle Nachtluft ihm helfen würde, sich vor dem Schlafengehen
abzureagieren. Entschlossen leerte Ben Cartwright sein Glas und verließ den
Saloon.
„Hoppla. Entschuldigung. Na so was, was machen
Sie denn hier?“
„Du bist doch ...“
Perry Hike und Ben Cartwright schienen beide
nicht sonderlich erfreut über das überraschende Wiedersehen, als sie in der Tür
des Angels Drink Saloon unvermittelt zusammenprallten.
„... Perry, der Langfinger“, vollendete der
Junge ironisch den Satz „ich nehme jedenfalls an, daß Sie das sagen wollten.
Aber diesmal war unser Zusammenstoß nicht geschäftlich bedingt. Ich habe Ihre
Brieftasche nicht.“
„Ach, wirklich?“ knurrte Ben gereizt und
tastete nach seiner Börse. Sie steckte in der Westentasche, und der Rancher war
keineswegs zu stolz, das auch zuzugeben. „Stimmt Perry, ich muß mich wohl für
mein Mißtrauen entschuldigen.“
Damit überraschte er den jungen Strolch zum
zweiten Mal; auch diesmal wußte der Junge nicht, wie er auf die unerwartete
Freundlichkeit des Älteren reagieren sollte. Doch eine Antwort blieb ihm
erspart, denn in diesem Moment hörten sie den Schrei und den Schuß.
Ben zog seine Waffe und eilte ohne Zögern in
die Seitenstraße, aus der diese schrecklichen Geräusche gekommen waren. Die
schmale Gasse war menschenleer, aber da lag etwas Großes, Dunkles, nur
schemenhaft zu erkennen, denn dicke Wolken dämmten das fahle Licht des
zunehmenden Mondes. Ben kniete nieder und untersuchte den reglosen Körper. Hier
kam jede Hilfe zu spät, der Mann war tot. Jetzt näherten sich von beiden Seiten
weitere Männer, die den Schuß ebenfalls gehört hatten. Der Sheriff war einer
der ersten, der neben Ben Cartwright niederkniete und die Leiche auf den Rücken
drehte.
„Abe Jenkins“, murmelte er entsetzt, und zu
Ben gewandt „was ist geschehen?“
Ehe der Rancher antworten konnte, ertönte
aufgeregt Jeff Tremonts unverkennbare Fistelstimme neben ihm.
„Sheriff, Sheriff! Sie müssen diesen Cartwright
verhaften. Ich habe genau gesehen, wie er auf meinen Partner geschossen hat.
Abe hatte keine Chance, er konnte nicht einmal mehr seine Waffe ziehen.“
Ben Cartwright war so überrascht von dieser
ungeheuerlichen Anschuldigung, daß es ihm für einen Moment die Sprache
verschlug. Als er sich wieder gefaßt hatte und empört antworten wollte, nahm
der Ordnungshüter ihm bereits mit einem grimmigen Blick die Waffe aus der Hand
und schnitt ihm barsch das Wort ab.
„Cartwright heißen Sie? Ich denke, wir haben
einiges zu bereden. Zu meinem Büro geht’s da lang. Nach Ihnen.“
Da er die Aufforderung mit dem Lauf seines
Revolvers unterstrich, blieb Ben Cartwright nichts anderes übrig, als ‘die
freundliche Einladung’ anzunehmen.
***
Der Sheriff von Angels Dream griff nervös
nach seiner Waffe, als die drei Fremden so ungestüm in sein Büro stürmten. Aber
seine Sorge war unnötig, sie waren nicht auf eine Schießerei aus. Der Mann in
Schwarz, offensichtlich ihr Wortführer, hielt ihm demonstrativ ein Papier
entgegen und erklärte entschieden: „Sheriff, das ist entweder ein Irrtum oder
ein schlechter Scherz.“
Der Sheriff warf einen kurzen Blick auf das
zerknitterte Telegramm vor seiner Nase. „Mister Cartwright, nehme ich an?“
fragte er zögernd.
Der Fremde nickte. „Ich bin Adam Cartwright.
Das sind meine Brüder, Hoss und Joe.“
„Sie sind Brüder?“ staunte der Sheriff
verwundert „Sie sehen sich gar nicht ähnlich.“
„Genaugenommen sind wir Halbbrüder, der selbe
Vater, verschiedene Mütter“, ergänzte Hoss entgegenkommend, was Little Joe gar
nicht gefiel.
„Unser Familienstammbaum ist jetzt wohl nicht
so wichtig“, fauchte er aufbrausend. „Sheriff, die Anklage gegen meinen Vater
ist unglaublich. Was ist geschehen?“
Die drei Männer hörten aufmerksam zu, als der
Ordnungshüter von dem Streit im Saloon, von dem Schuß aus dem Hinterhalt und
von Jeff Tremonts Zeugenaussage berichtete.
„Das ist völlig ausgeschlossen. Unser Vater
ist kein Mörder“, widersprach Adam Cartwright nachdrücklich und seine beiden Brüder
nickten bestätigend, als der Sheriff schließlich zum Ende kam.
„Ich habe einen langen Brief von meinem
Kollegen Roy Coffee bekommen. Ich bin fast geneigt, ihm und Ihnen zu glauben“,
erklärte der Sheriff, „aber mir bleibt in dieser Situation keine Wahl. In ein
paar Tagen wird die Gerichtsverhandlung über den Fall entscheiden, bis dahin
bleibt Ihr Vater hinter Schloß und Riegel, schon zu seiner eigenen Sicherheit.
Abe Jenkins war in Angels Dream beliebt, und außerdem macht Jeff Tremont
mächtig Stimmung gegen seinen vermeintlichen Mörder.“
„Ich will jetzt hören, was mein Vater zu den
Anschuldigungen sagt“, erklärte Joe vehement.
Der Sheriff verstand seine Ungeduld. „Ich
habe nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie mit ihm reden wollen. Vorausgesetzt,
Sie geben mir vorher Ihre Waffen.“
Die Cartwrights versuchten tapfer, ihre
Sorgen nicht zu deutlich zu zeigen, als sie, durch das Gitter getrennt, die
Situation berieten. Ben schilderte emotionslos seine Version der Geschehnisse
und seine Söhne starrten ihn verwundert an.
„Aber dann gibt es doch einen Zeugen, der
Tremonts Aussage widerlegt und dich entlastet. Warum hat der Sheriff nichts
davon erwähnt?“
„Weil der Junge nach dem tödlichen Schuß auf
Jenkins spurlos verschwunden ist und niemand außer mir ihn gesehen hat. Der
Sheriff hält Perry Hike vemutlich für ein Hirngespinst von mir, um meinen Hals
zu retten.“
„Wir werden diesen kleinen Taschendieb
finden“, erklärte Hoss plötzlich so wild entschlossen, daß ihn die anderen
überrascht ansahen.
„Ja, das ist unsere einzige Chance“,
bestätigte Adam grimmig. „Worauf wartet ihr dann noch?“ drängte Joe, schob
seinen Hut energisch in die Stirn und ging zur Tür. „Pa, mach dir keine Sorgen,
wir kommen so schnell wie möglich zurück. Und der Kerl wird aussagen, dafür
werde ich sorgen.“
Seine beiden Brüden nickten ihrem Vater
ebenfalls zum Abschied zu und wandten sich zur Tür.
„Adam, einen Moment bitte.“
„Ja, Pa?“
Ben wartete, bis nur noch sein ältester Sohn
vor seiner Zelle stand.
„Paß auf Little Joe auf, bitte“, bat er
ernst.
Adam versprach mit einem beruhigenden
Augenzwinkern. „Wird nicht einfach sein, unser Nesthäkchen unter Kontrolle zu
halten, aber ich werd’s schon schaffen.“ Dann folgte er seinen Brüdern nach
draußen.
***
„‘Heart Of Genoa’. Wenn er hier auch nicht
ist, finden wir ihn nie.“
Alle drei Cartwright-Brüder waren so müde von
dem langen Ritt durch Nevadas staubige Wüste, daß sie vor dem einzigen Saloon
in der kleinen Stadt fast aus dem Sattel fielen. Nachdem sie tagelang durch die
Hitze geritten waren, und in allen kleinen Dörfern und Städtchen der Gegend
vergeblich nach dem Jungen gesucht hatten, schien Genoa ihre letzte Hoffnung zu
sein.
„Hoffentlich haben die hier wenigstens ein
kühles Bier“, stöhnte Little Joe und musterte das halb verfallene Saloongebäude
wenig begeistert.
„Und was zu Essen“, ergänzte sein Bruder Hoss
kläglich, „am besten ein riesiges, saftiges Steak oder besser gleich zwei.“
„Jetzt reißt euch mal zusammen. Pa hätte
jetzt sicher auch gern kühles Bier und saftige Steaks,“ tadelte Adam und seine
beiden jüngeren Brüder ließen schuldbewußt die Köpfe hängen.
Zusammen betraten sie den Saloon und sahen
sich unauffällig um. Um diese Zeit war nicht viel los im ‘Heart Of Genoa’.
Einige Männer standen an der Bar und diskutierten die Saatgutpreise, andere
umringten neugierig einen der wenigen besetzten Tische, wo anscheinend ein
spannendes Pokerspiel mit hohen Einsätzen im Gange war. Ab und zu waren ein
paar zusammenhängende Worte aus dem Stimmengewirr zu verstehen.
„... kann sich keiner leisten...“
„... wenn du mich fragst, wird er nicht ...“
„... habe noch das hier...“
Der junge Kartenspieler mit dem leuchtendem
Blondschopf bemerkte nicht, daß Little Joe Cartwright herumfuhr, als habe der Blitz
neben ihm eingeschlagen. Er kramte ahnungslos eine golden schimmernde
Taschenuhr hervor und legte sie behutsam auf den Tisch zu den Dollarnoten, mit
denen die anderen Männer ihre Einsätze beglichen hatten. Einer seiner
Mitspieler nahm die Uhr auf, wog sie abschätzend in der Hand, um das Gewicht zu
prüfen, öffnete schließlich den Uhrendeckel und musterte das fein verzierte
Zifferblatt.
„Was ist sie wert?“
„Keine Ahnung. Sie hat meinem Vater gehört.
Sagen wir 30 Dollar?“
Alle Spieler sahen überrascht auf, als
unvermittelt ein dunkler Schatten über den Tisch fiel.
„Nur zu deiner Information: die Uhr ist
mindestens 200 Dollar wert.“
Perry Hike runzelte verwundert die Stirn.
„Kennen wir uns, Mister?“
„Scheint so. Die Uhr habe ich Vater letztes Jahr
zum Geburtstag geschenkt. Erinnerst du dich denn nicht - Brüderchen?“
„Oh, Sch...“ Perry fuhr erschrocken von
seinem Stuhl auf, als ihm die Bedeutung dieser Worte klar wurde. „Okay, okay,
die Geschichte habe ich erfunden, um den Wert zu erhöhen. Ich habe das Ding
gefunden,“ gestand er kleinlaut und blickte dabei seinem ganz in Schwarz
gekleidetem Gegenüber trotzig in die Augen.
„Wo denn? In den Taschen meines Vaters?“ Als
unvermittelt Little Joe hinter seinem Bruder auftauchte, zuckte der junge Mann
merklich zusammen, hatte sich dann aber schnell wieder unter Kontrolle.
„Irgendwo. Ich kann mich nicht erinnern.“
„Gib mir zehn Minuten und du wirst dich
erinnern.“ Joe machte drohend einen Schritt auf den Jungen zu, aber der fühlte
sich im Saloon vor so vielen Zeugen sicher.
„Jetzt habe ich aber Angst“, konterte er mit
einem spöttischen Lächeln.
„Und das dämliche Grinsen wird dir auch
gleich vergehen“, fauchte Joe gereizt und ballte angriffslustig die Fäuste. Gerade
noch rechtzeitig gelang es Hoss, seinen Bruder am Arm festzuhalten.
„Nicht so hitzig, mein Kleiner. Du weißt
doch, weshalb wir hier sind.“
Dem Jüngsten der Cartwright-Brüder blieb gar
nichts anderes übrig, als die Fäuste wieder sinken zu lassen, denn was Hoss mit
seinen Riesenkräften im Griff hatte, ließ er so schnell auch nicht wieder los.
Inzwischen hatten sich fast alle Anwesenden im Saloon um die vier Männer
geschart. In diesem gottverlassenem Städtchen passierte so wenig, daß eine
Schlägerei unter Fremden ihnen zur Abwechslung gerade recht kam. Adam
Cartwright gefiel die Aufmerksamkeit, die sie erregen, ganz und gar nicht.
„Was dagegen, wenn wir unser Gespräch etwas
weniger öffentlich fortsetzen?“, schlug er vor und zeigte auf die Tür zum Hinterzimmer.
Der Junge schüttelte ablehnen den Kopf.
„Allerdings. Drei gegen einen - für wie blöd
haltet ihr mich eigentlich?“
Auch Hoss fand es nicht erfreulich, der
Mittelpunkt der Volksbelustigung von Genoa zu sein.
„Dir wird kein Haar gekrümmt, das verspreche
ich.“
Perrys Blick wanderte herausfordernd von Hoss
zu Joe. „Das sagst du, aber was sagt der da?“
„Mein Bruder tut dir schon nichts“,
bestätigte Adam.
Der Junge ignorierte ihn, statt dessen hielt
er den Blick immer noch unablässig auf Little Joe gerichtet. Der jüngste
Cartwright überwand schließlich seinen Widerwillen und murmelte grollend: „Dir
geschieht nichts.“
Das Nebenzimmer war eigentlich kein
Nebenzimmer, sondern Lager, Vorratsschrank und Abstellkammer des Saloons. Aber
sie waren wenigsten ungestört, als sie es sich im Halbdunkeln irgendwelche
Kisten und Säcke zum Sitzen zurechtschoben. Perry Hike hörte sich schweigend
an, was nach seinem kurzen Zusammentreffen mit Ben Cartwright in Angels Dream
passiert war. Little Joe konnte kaum glauben, daß der Junge noch nichts davon
wußte.
„Aber du mußt doch gehört haben, daß mein
Vater verdächtigt wird, den Mann getötet zu haben.“
„Wann denn? Ich habe mich aus dem Staub
gemacht, direkt nachdem der Schuß fiel. Schüsse bedeuten Sheriff und Sheriff
bedeutet Ärger, so einfach ist das.“
„Den Ärger hat jetzt mein Pa und zwar mehr,
als ihm lieb sein kann.“
Während Adam seine Sorgen hinter einer
undurchschaubaren Maske scheinbarer Ruhe verbarg und Joe kaum seine Wut auf den
Fremden zügeln konnte, war Hoss der Einzige, dem man die tiefe Verzweiflung
über die gefährliche Lage, in der ihr Vater sich befand, tatsächlich ansah.
Deshalb wandte der Junge sich auch direkt an ihn.
„Es tut mir leid. Selbst wenn ich wollte, ich
könnte deinem Vater nicht helfen.“
„Doch, natürlich, deine Aussage beweist seine
Unschuld. Als der Schuß fiel, hast du neben ihm gestanden.“
Perry Hike schüttelte energisch den Kopf.
„Wer würde mir denn glauben? Ihr habt doch gerade selbst erzählt, daß ein
angesehener Bürger von Angels Dream bezeugt, den Mord beobachtet zu haben. Sie
werden euren Vater so oder so hängen, und mich würden sie wegen einer
Falschaussage drankriegen.“
„Bis jetzt glaubt der Sheriff von Angels
Dream, daß dieser geheimnisvolle Fremde, der seine Unschuld bezeugen kann, nur
in der Phantasie meines Vaters existiert. Durch deine Aussage würde er
gezwungen, der Sache nachzugehen. Und bei dieser Untersuchung findet der
Sheriff vielleicht auch etwas, das den falschen Zeugen belastet.“
Der Junge blickte unentschlossen in die
Runde. Was Adam Cartwright da erklärte, klang logisch, dennoch fühlte er sich
unbehaglich bei dem Gedanken, freiwillig einem Sheriff aufzusuchen.
„Alles hängt von dir ab. Hilf ihm bitte!“ bat
Hoss eindringlich.
„Das Leben meines Vaters ist in Gefahr. Du
mußt aussagen“, drängte auch Little Joe. Es fiel ihm nicht leicht, diesen
abgezockten Taugenichts um Hilfe zu bitten, aber sein Pa war ihm wichtiger als
sein Stolz. Vergeblich. Der Junge schüttelte ablehnend den Kopf.
„Ich muß gar nichts. Warum sollte ich einem
Mann helfen, der mich in den Knast gebracht hat?“
Adams mahnenden Blick konnte seinen
impulsiven jüngsten Bruder nicht bremsen. „Du hattest es ja wohl verdient!“
giftete Joe den Burschen an, und der konterte ebenso aggressiv:
„Warum? Weil ich einen Mann, dem der Reichtum
aus allen Knopflöchern quillt, um ein paar Dollars erleichtern wollte? Er hätte
das Geld vermutlich nicht mal vermißt, aber mein Gaul und ich hätten monatelang
davon leben können.“
„Er hat dich ja auch wieder rausgeholt“, gab
Hoss zu bedenken.
„Ich weiß bis heute nicht, warum er das getan
hat“, meinte Perry dazu nachdenklich. Er schien in diesem Moment weniger
abweisend zu sein als vorher, und Adam versuchte, die günstige Gelegenheit für
ihr Anliegen zu nutzen.
„Er wollte dir helfen und jetzt könntest du
dich revanchieren. Falls du andere Pläne hattest, sind wir bereit, deine
Unkosten zu übernehmen, wenn du zurück nach Angels Dream reitest um auszusagen.
Welche Summe hältst du für angemessen?“
Der Junge wies das Angebot verächtlich
zurück. „Ihr biete mir Geld? Was wohl das Gericht dazu sagt, wenn ich erzähle,
daß ihr meine Aussage gekauft habt.“
„Ich will keine Aussage kaufen, ich will nur,
daß du die Wahrheit sagst.“ Selbst Adams Ruhe wandelte sich langsam in
Ungeduld. Der Junge schien das zu spüren, denn er wurde jetzt wieder zynisch.
„Was macht dich eigentlich so sicher, daß diese Wahrheit deinem Alten nicht
schadet?“
„Mein Vater hat nichts Unrechtes getan!“
empörte sich Hoss.
„Woher weißt du das?“
„Er hat es gesagt“, erklärte Adam schlicht,
als wäre dieses Argument einfach unumstößlich. Damit provozierte er den Jungen
noch mehr.
„Er hat es gesagt? Was erwartet ihr denn, was
einer sagt, wenn er die Schlinge schon um den Hals spürt?“
Unvermittelt schnitt er eine schreckliche
Grimasse: weit aufgerissenen, wild rollenden Augen, die Zunge seitlich so weit
herausgestreckt wie nur möglich, röchelnd und keuchend, um dann plötzlich den
Kopf sinken zu lassen und totenstill dazustehen. Alle drei Cartwrights starrten
ihn entsetzt an, und der Junge lachte ihnen schallend ins Gesicht. Da verlor
Little Joe endgültig die Beherrschung: Er stürzte sich auf Hike und schlug zu.
Als es seinen Brüdern endlich gelang, ihn zu bändigen, hatte der überraschte
Dieb schon mehrere harte Treffer einstecken müssen. Er rappelte sich hoch,
wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der aufgeplatzten Unterlippe und
mit einem zynischen „Dir geschieht nichts, nicht wahr? Die Cartwrights haben
eine sonderbare Art, ihr Wort zu halten“, verschwand er durch den
Hinterausgang.
Kaum hatten die drei Brüder begriffen, daß
mit dem Jungen auch jede Hoffnung für ihren Vater verschwunden war, da stürzten
sie hinter ihm her nach draußen. Aber der Junge war wie vom Erdboden
verschluckt, die schmale Seitenstraße fast menschenleer. Nur zwei ärmliche
Farmer auf der anderen Straßenseite beluden gerade ihren klapprigen Wagen mit
schweren Saatgutsäcken. Sie blickten verwundert zur Hintertür des ‘Heart Of
Genoa’, als Adam seinen Bruder unerwartet an der Jacke packte, ihn grob
schüttelte und wutentbrannt anschrie:
„Konntest du dich nicht wenigstens das eine
Mal zusammenreißen? Du wußtest doch, was davon abhängt.“
Aber auch ohne die Vorwürfe seines älteren
Bruders war Little Joe völlig am Boden zerstört. Kreidebleich starrte er die
Straße entlang, als könne sein verzweifelter Blick den verschwundenen Jungen
wieder hervorzaubern. Er wußte, daß sein unbeherrschter Wutausbruch seinem Vater
das Leben kosten konnte und je mehr ihm seine Verantwortung bewußt wurde, desto
heftiger nagten Schuldgefühle an seiner Seele. Hoss, der die innere Qual seines
Bruders spürte, versuchte zu schlichten.
„Sei ihm nicht böse, Adam. Mir hat es auch
gereicht. Wenn Little Joe mir nicht zuvor gekommen wäre, hätte ich diesen
Satansbraten grün und blau geprügelt.“
„Hast du aber nicht“, widersprach Adam
unversöhnlich und ging zu seinem Pferd.
Joe versuchte kleinlaut, ihn aufzuhalten.
„Den Kerl finden wir wieder. Wir suchen uns hier in Genoa für heute nacht eine
Bleibe, und gleich morgen früh reiten wir los und jagen ihn. Viel Vorsprung hat
er ja nicht.“
Dabei legte er beschwichtigend die Hand auf
Adams Schulter. Sein Bruder wirbelte herum. Einen Augenblick lang sah es so
aus, als würde der Ältere ebenfalls die Beherrschung verlieren und seinem
jüngsten Bruder die Faust ins Gesicht schmettern. Doch dann streifte er nur die
Hand ab, maß Little Joe mit einem unbeschreiblich verächtlichen Blick und
höhnte zynisch: „Natürlich, wir haben ja alle Zeit der Welt. Falls du es
vergessen haben solltest, der Termin für den Prozeß ist morgen nachmittag. Wenn
wir gleich aufbrechen, diese Nacht irgendwo im Freien ein paar Stunden rasten
und ansonsten galoppieren wie der Teufel, schaffen wir es vielleicht
rechtzeitig, daran teilzunehmen.“
Er ging endgültig zu seinem Pferd, Hoss und
Little Joe folgten ihm niedergeschlagen.
***
Zum Glück tauchte der Vollmond die Nacht in sein
milchig weißes Licht, so daß die drei Reiter dem Weg durch die einsame, bizarre
Wüstenlandschaft nach Angels Dream ohne Schwierigkeiten folgen konnten.
Mitternacht war schon vorüber, als Adam endlich an einem kleinen Wasserloch,
das von ein paar Bäumchen, Büschen und etwas Gras umrandet wurde, sein Pferd
anhielt und aus dem Sattel stieg. Joe und Hoss taten es ihm nach. Sie hatten
auf dem weitläufigen Gebiet der Ponderosa oft genug im Freien übernachtet, um
zu wissen, was zu tun war. Ohne daß ein Wort gesprochen wurde, versorgte Joe
die Pferde, sammelte Adam trockene Äste und Zweige fürs Feuer, holte Hoss
frisches Wasser und begann, aus den kargen Vorräten aus seiner Satteltasche
heißen Kaffee und ein einfaches Bohnengericht zuzubereiten.
Adam Cartwright war schließlich der erste,
der sich hinsetzte, müde seine Beine ausstreckte und, immer noch schweigend,
die Bohnen löffelte. Joe, der sich ein paar Minuten später ebenfalls seinen
Teller gefüllt hatte, hockte sich neben ihm. Adam musterte seinen Bruder angewidert,
stand dann schweigend auf, nahm Bohnenteller und Schlafsack und setzte sich auf
die andere Seite des Lagerfeuers, so weit wie möglich weg von Little Joe, der
kaum aufsah, sondern gedankenverloren in seinem Essen herumstocherte. Hoss, der
die kleine Szene beobachte hatte, war mit einem Mal der Appetit vergangen.
Wortlos nahm er den Topf mit den Bohnen zur Seite, löschte das Feuer und suchte
sich ebenfalls einen Platz für seinen Schlafsack. Die drei hatten noch immer
kein Wort miteinander gesprochen, als es im Morgengrauen im Galopp weiterging.
Sie erreichten schließlich Angels Dream
gerade noch rechtzeitig, um die Worte des Richter zur Prozeßeröffnung zu hören,
mit denen er dem Ankläger, dem Angeklagten, den Geschworenen und den vielen
Zuhören im zum Gerichtssaal umfunktionierten Saloon einen fairen Prozeß
versprach. Aber konnte man das, was folgte, wirklich einen fairen Prozeß
nennen? Der Richter ließ sich zwar von Ben Cartwright ausführlich schildern,
was er zu den Vorfällen in Angels Dream zu sagen hatte, aber dennoch war von
Prozeßbeginn an sicher, zu welchem Ergebnis die Geschworenen kommen würden und
welches Urteil der Richter verkünden würde. Wie sollte es auch anders sein?
Schließlich gab es mehrere Männer, die vom
Streit des Angeklagten mit dem Opfer berichteten und auch seine düstere Drohung
im Saloon gehört hatten. Der Sheriff sagte aus, daß er unmittelbar nach dem
Schuß zum Tatort gelaufen war und dort den Angeklagten mit der Waffe in der
Hand über die Leiche gebeugt vorgefunden hatte. Und es gab einen Augenzeugen,
den in Angels Dream bekannten und geachteten Jeff Tremont, der zufällig gerade
auf dem Bürgersteig vor seinem Büro gestanden hatte und von dort den Mord
beobachten und jetzt vor Gericht in allen Einzelheiten schildern konnte. Aber
den geheimnisvollen Entlastungszeugen, der die Geschichte des Angeklagten
bestätigen konnte, gab es nicht, und es gab auch niemanden, der mit ihm
gesprochen oder ihn auch nur gesehen hatte.
Schließlich wurden die Geschworenen zur
Beratung in den Nebenraum geführt. Auch die drei Söhne des Angeklagten erhoben
sich. Adam blickte fragend zum Sheriff, und der reagierte auf die stumme Bitte
mit einem kaum merklichen Nicken. Sie durften also zu ihrem Vater hinüber
gehen.
„Pa, es tut mir so leid.“ Little Joe war
völlig verzweifelt, er konnte kaum seine Tränen zurückhalten. Er gab sich die
Schuld am Verschwinden des Taschendiebs und damit auch an der hoffnungslosen
Lage des Vaters, und dieses Schuldgefühl drohte ihn zu erdrücken.
Hoss sagte gar nichts. Der riesige Mann stand
reglos da, kreidebleich, verstört, betroffen. Die Angst schnürte ihm die Kehle
zu, die Angst um den Vater und die Angst vor dem Auseinanderbrechen ihrer
Familie, gerade jetzt, wo sie einander mehr denn je brauchten. Aber die Kluft
zwischen seinem jüngeren und seinem älteren Bruder schien unüberbrückbar. Auch
Adam Cartwright, der mit Ruhe und Besonnenheit sonst jede Situation meisterte,
schien resigniert zu haben.
„Was sollen wir nur tun?“ murmelte Ben
Cartwrights ältester Sohn ratlos und unglücklich.
Der Vater spürte ihren Kummer, aber auch ihre
Uneinigkeit. „Haltet zusammen, das ist das Wichtigste. Und betet für mich“, bat
er sie eindringlich.
Der Sheriff erhob sich nun ebenfalls mit der
Absicht, seinen Gefangenen zurück in die Zelle bringen, aber der Richter winkte
ab.
„Die Jury wird nicht länger als eine
Viertelstunde brauchen, das ist der Mühe nicht wert.“
Tatsächlich, schon nach ein paar Minuten
kamen die zwölf Männer wieder herein, keiner von ihnen manns genug, dem Angeklagten
ins Gesicht zu sehen. Es dauerte noch etwas, aber dann war es
mucksmäuschenstill im Raum. Der Sprecher der Geschworenen trat vor.
„Ich will eine Aussage machen.“
Niemand hatte den jungen Mann bemerkt, als er
den zum Gericht umfunktionierten Saloon betrat. Niemand wußte, wie lange er
schon im Hintergrund stehend zugehört hatte. Der Richter war von der Störung
kurz vor dem Ende des Prozesses nicht begeistert, aber da es um das Leben eines
Mannes ging, machte er dem Sprecher der Geschworenen ein Zeichen, wieder Platz
zu nehmen und winkte den Fremden zu sich. Ein leises Raunen ging durch die
Menge, als Perry Hike sich seinen Weg nach vorne zum Richtertisch bahnte.
„Nun?“ fragte der Richter. „ich hoffe, es ist
wichtig.“
„Für den da ist es lebenswichtig“, bestätigte
der junge Mann mit einem lässigen Kopfnicken in Richtung des Angeklagten.
„Also gut, dann sagen Sie, was Sie zu sagen
haben.“
„Als der Schuß fiel, standen Mister
Cartwright und ich zusammen vor dem Saloon.“
Die Zuschauer schienen plötzlich alle
gleichzeitig zu reden. Der Richter mußte dreimal energisch um Ruhe bitten, bis
sich alle wieder beruhigt hatten.
„Das ist eine sehr wichtige Aussage, junger
Mann. Ich möchte mehr Einzelheiten hören. Was genau taten Sie vor dem Saloon,
als der Schuß fiel? Und was geschah dann?“
Der junge Zeuge seufzte ergeben. „Wie Sie
wollen, Euer Ehren. Ich war gerade in Angels Dream angekommen, und ich war
ziemlich durstig. Es gibt nur einen Saloon in diesem Kaff, diesen hier, und
hier wollte ich so schnell wie möglich ein kühles Bier trinken. Ich wäre fast
mit Mister Cartwright zusammengestoßen, der gerade aus dem Saloon kam. Wir sind
uns in Virgina City schon einmal begegnet, und deshalb haben wir ein paar Worte
miteinander gewechselt. Plötzlich hörten wir einen Schrei ‘nein, nicht’ oder so
ähnlich, und direkt danach fiel ein Schuß. Mister Cartwright ist sofort über
die Straße gelaufen zu der Gasse, aus der die Geräusche kamen, und ich habe
mein Pferd geholt und mich aus dem Staub gemacht.“
„Warum? Das Opfer brauchte doch vielleicht
Hilfe.“
„Mister Cartwright kümmerte sich ja schon
darum. Und ich wollte dem Sheriff nicht begegnen. Ich kenne eine Menge
Ordnungshüter, aber zu meinen Freunden zählt keiner.“
Der Richter runzelte die Stirn. Der letzte
Satz machte den dubiosen Zeugen nicht vertrauenswürdiger. „Ich würde Ihnen gern
glauben, aber was Sie uns berichten, klingt ziemlich phantastisch.“
Perry Hike blickte ihn mit großen Augen an.
„Aber der Mann mit dem Gewehr muß uns doch auch gesehen haben, warum haben Sie
den nicht gefragt?“ wollte er überrascht wissen.
Jetzt war der Richter ebenfalls irritiert.
„Von wem redest du?“
„Keine Ahnung. Untersetzt, etwa 50, feiner
Anzug, seinen Namen kenne ich nicht. Als ich zu meinem Pferd lief, habe ich ihn
hinter den Kisten am Laden stehen sehen. Zufällig wurden irgendein Licht vom
Lauf seines Gewehres reflektiert, sonst hätte ich ihn vermutlich gar nicht
bemerkt. Das war übrigens eine Remington Zuave Rifle, zuverlässige Waffe, cal .54,
ich kenne mich da ein wenig aus.“
„Nun“, sagte der Richter nachdenklich,
„leider hat sich sonst niemand als Zeuge gemeldet. Wir haben also nur die
Aussage von Mister Tremont und die von Ihnen, und beide passen absolut nicht
zusammen.“
„Und wem sollen der ehrenwerte Richter und
die Geschworenen glauben? Das ist wirklich eine schwierige Entscheidung, nicht
wahr? Der eine Zeuge ist ein zwielichtiger Herumtreiber, der es vorzieht, dem
Sheriff aus dem Weg zu gehen, den anderen Zeugen kennt jeder hier, denn ich bin
ein geachteter Bürger in Angels Dream.“
Jeff Tremont hielt es nicht mehr auf seinem
Platz. Er sprang auf und ließ sich zu dieser Tirade hinreißen. Dafür erntete er
bestätigendes Gemurmel von den Zuschauer und einen zurechtweisenden Blick vom
Richter, der ihn dazu veranlaßte, sich schnell wieder hinzusetzen. Perry Hike
drehte sich neugierig zu ihm um und erstarrte.
„Aber... aber... das ist doch der Mann mit
dem Remington-Gewehr“, stammelte er verwirrt.
Das
Gemurmel der Zuschauer wurde lauter, Tremont sprang wieder empört auf. „Der
Bengel lügt das Blaue vom Himmel. Er war gar nicht in der Nähe, nur Jenkins und
Cartwright. Es war alles genau so , wie ich gesagt habe. Cartwright hat Jenkins
erschossen.“
„Hat er nicht, verdammt. Ich stand neben ihm,
als der Schuß fiel“, empörte sich der junge Mann.
Plötzlich stand Little Joe Cartwright auf und
trat neben Perry Hike vor den Richtertisch. „Euer Ehren, es gibt einen Zeugen,
der eine der beiden Aussagen bestätigen kann“, erklärte er ernst.
Der Richter hatte inzwischen jede Hoffnung
auf einen konventionellen Prozeßverlauf aufgegeben. Er musterte Little Joe
eingehend, der dem Blick blaß, aber unerschrocken standhielt.
„Also gut. Wie heißt der Zeuge und, was noch
viel wichtiger ist, wann kommt er?“
„Mein Zeuge ist Abe Jenkins. Er kann leider
nicht mehr persönlich aussagen, aber...“
Weiter kam er nicht, denn das war selbst für
den Richter, der bisher allen Äußerungen geduldig zugehört hatte, zu viel.
„Schweigen Sie augenblicklich! Wie können Sie
es wagen, diesen Prozeß derart zu verunglimpfen?“ fuhr er Little Joe Cartwright
an, aber der stand noch immer unerschütterlich wie ein Fels da und fuhr völlig
unbeeindruckt fort:
„... die Kugel, die Mister Jenkins getötet
hat, kann beweisen, welcher Zeuge die Wahrheit sagt. Mein Vater verwendet ganz
gewöhnliche .44-Munition für seine Waffe, aber für eine Remington Zuave Rifle
braucht man, wie wir von Mister Hike gehört haben, .54-Patronen.“
Der Richter, die Geschworenen und die Zuhörer
brauchten einen Moment, um Joes Behauptung zu verstehen und um zu begreifen,
welche ungeheuerliche Anschuldigung sie enthielt. Und dann begriff es auch Jeff
Tremont! Blitzschnell zog er seinen Revolver, fuchtelte wild damit herum und
schrie schrill und aufgeregt:
„Ich mußte es tun! Jenkins war ein Betrüger!
Er wollte mich aus dem Geschäft drängen, mir alles nehmen, was ich aufgebaut
habe. Ich hatte keine Wahl, er oder ich.“
Sein wirrer Blick schien überall gleichzeitig
zu sein, er rotierte mit seiner Waffe voller Panik um die eigenen Achse,
richtete sie auf jeden, der sich bewegte. Da gerieten Joe und Perry in sein
Blickfeld. Der entlarvte Mörder verharrte in seiner Bewegung, stand plötzlich
starr, unheimlich starr, den Lauf des Revolvers direkt auf die beiden jungen
Männer gerichtet. Kaum hörbar drohte der zu allem entschlossene, in die Enge
getriebene. Mann:
„Das werdet ihr büßen! Nichts wäre entdeckt
worden, wenn dieser Herumtreiber mich nicht bemerkt hätte. Und du, Mister
Neunmalklug, du weißt doch so gut über Kugeln Bescheid, wie gefällt dir diese
hier?“
Joe blieben nur Sekundenbruchteile, zu
reagieren. Er konnte seine Waffe nicht ziehen, weil Perry, zu Tode erschrocken,
links vor ihm in der Schußlinie stand. Fast gleichzeitig mit dem Schuß warf Joe
sich mit einem beherzten Sprung zur Seite und riß den Jungen neben sich mit.
Die Kugel pfiff weniger als eine Handbreit über sie hinweg und bohrte irgendwo
ein häßliches Loch in den Boden. Ein zweiter Schuß peitschte fast gleichzeitig
auf, Tremont stieß einen Schrei aus, ließ den Revolver fallen und preßte die
linke Hand gegen die Schulter. Sein Hemd färbte sich langsam rot unter seinen
Fingern.
Adam verlor keine Zeit, sich um seinen
Treffer oder den Aufruhr im Gerichtssaal zu kümmern. Mit drei Sätzen war er bei
Joe, der reglos am Boden lag, Perry Hike unter sich begraben.
„Joe, bist du okay?“ fragte er fürsorglich
und schüttelte seinen jüngeren Bruder sanft an der Schulter. Little Joe schlug
stöhnend die Augen auf und sah Adams besorgtes Gesicht.
„Es geht schon“, murmelte der junge Mann
befangen und versuchte unbeholfen aufzustehen. Adam reichte ihm die Hand und
zog ihn hoch. Er ließ aber nicht los, als Little Joe wieder auf den eigenen
Beinen stand. Sein jüngster Bruder schaute ihn fragend an.
„Das war genial, einfach genial. Ich bin
stolz auf dich.“ Joe verstand, Adam mußte seine Bitte um Verzeihung nicht extra
aussprechen. Ein kurzes Kopfnicken, ein flüchtiges Lächeln, dann wandte Little
Joe sich um und reichte nun seinerseits Perry Hike die Hand, der immer noch auf
dem Boden saß und benommen seinen Kopf schüttelte.
„Was wiegst du eigentlich?“ feixte der Junge
ächzend, als er sich von Joe beim Aufstehen helfen ließ.“
Die zentnerschwere Last, die seit Genoa auf
seiner Seele lag, war plötzlich verschwunden, und Joe konterte schlagfertig:
„Meckere nicht! Stelle dir einfach vor, wie du dich jetzt fühlen würdest, wenn
Hoss an meiner Stelle gewesen wäre.“
Perry Hike wurde plötzlich ernst „Ich stelle
mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn du nicht zur Stelle gewesen wärst -
danke“, sagte er einfach.
„Ich sagte doch, dir passiert nichts“, war
Joes knapper Kommentar.
Langsam legte sich die Aufregung. Der Sheriff
führte Jeff Tremont zum Gefängnis, der Richter brachte, trotz des anhaltenden
Stimmengewirrs, den Prozeß geordnet zu Ende, und die meisten Männer stürmten an
die Bar, um sich nach dem Spektakel ein Bier zu gönnen. Die Cartwrights, froh
darüber, daß endlich doch alles so glimpflich ausgegangen war, verließen
zusammen das Gerichtsgebäude, das endlich wieder seine eigentliche Aufgabe als
Saloon erfüllte. Perry Hike, gerade noch der Held des Tages, folgte ihnen
langsam und unbeachtet. Seine wichtige Aussage war neben Joes spektakulärem
Auftritt fast bedeutungslos geworden. Doch Ben Cartwright hatte ihn nicht
vergessen. Er drehte sich zu ihm um und streckte ihm die Hand entgegen.
„Danke, Perry. Ich bin in deiner Schuld. Mein
Angebot gilt noch. Du bist jederzeit auf der Ponderosa willkommen.“
Perry antwortete nicht und schlug auch nicht
in die dargebotene Hand ein. Statt dessen zog er plötzlich die goldenen
Taschenuhr aus der Hosentasche und legte sie demonstrativ Ben Cartwright auf
die ausgestreckten Hand. Weil der Rancher keine Miene verzog, als er sie wortlos
einsteckte, fragte der Junge spöttisch: „Ich soll für Sie arbeiten? Haben Sie
keine Sorge, daß meine Anwesenheit Ihre Söhne verdirbt?“
Ben Cartwright erwiderte lächelnd: „Doch -
deshalb werde ich dich ganz besonders im Auge behalten.“
Da bemerkte Perry Little Joe, der sich mit
unergründlicher Miene zu ihnen gesellt hatte.
„Und was ist mit ihm? Ihm gefällt Ihr Angebot
bestimmt nicht. Er kann mich nicht leiden“, versuchte der Junge halbherzig,
sich herauszureden. So ganz geheuer war ihm das Angebot des Ranchers nicht,
aber irgendwie reizte es ihn auch ein wenig.
Ben reagierte ehrlich verwundert: „Wie kommst
du denn auf die Idee?“
„Jedesmal, wenn er mich sieht, schlägt er
mich nieder.“
„Verstehe. Keine Sorge, ihn werde ich auch
ganz besonders im Auge behalten“, entgegnete er schmunzelnd.
Perry und Joe tauschten einen vielsagenden
Blick, dann prophezeite der junge Mann düster: „Das kann gar nicht gutgehen.“
„Lassen wir’s drauf ankommen“, entgegnete der
Besitzer der Ponderosa optimistisch und ging hinüber zu Adam und Hoss, die
inzwischen die Pferde geholt hatten.
Little Joe und Perry standen noch immer
reglos nebeneinander. Schließlich brach Joe das Schweigen: „Warum hast du das
getan?“
„Ihm die Uhr zurückgegeben? Sie gehörte ihm
doch.“ Der jüngste Cartwright merkte, daß der andere ihn absichtlich falsch
verstand.
Ungeduldig fragte er noch einmal: „Nein, ich
meine, warum hast du doch für meinen Vater ausgesagt?“
Perry winkte ab und antwortete leichthin:
„Ach, das war nur ein dummer Zufall. Eigentlich wollte ich in dem Saloon nur
ein Bierchen trinken und nach einer neuen Brieftasche Ausschau halten, aber da
war der Prozeß noch im Gange.“
Joe starrte ihn entgeistert an, bis er
plötzlich das spöttische Lächeln über das Gesicht des Jungen huschen sah.
„Idiot,“ knurrte er, doch dann lächelte auch er.
„Ich würde mich freuen, wenn du auf die
Ponderosa kämest.“ Perrys Blick wanderte über die ihm entgegengestreckte Hand
hinauf zu Joes haselnußbraunen Augen.
Da sah er nur noch das Friedensangebot und
den aufrichtigen Wunsch, mit seinem Gegenüber ins Reine zu kommen. „Also gut,
einverstanden. Aber deine Familie und du, ihr dürft mir nicht böse sein, wenn
ich wieder verschwinde. Ich war noch nie länger als eine Woche am selben Ort.“
„Lassen wir’s drauf ankommen,“ sagte auch
Joe. Ihr Handschlag besiegelte feierlich die Abmachung.
***
Natürlich täuschte Ben seine Menschenkenntnis
nicht. Aus der einen Woche wurden Monate, dann Jahre. Perry Hike mauserte sich
zu einem zuverlässigen Mann in der Ponderosa-Mannschaft. Und wenn er nicht so
umsichtig gewesen wäre, das Telegramm zu schicken, als Joe und Hoss diesen
Zuchthengst abholen sollten, wer weiß, ob ... aber das ist eine ganz andere
Geschichte...